ISBN 978-3-00-068559-0
Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan
Erstellt am 20.01.2025 und erweitert und korrigiert am 15.07.2025
Dieses am 20.01.2025 erstellte Kapitel wurde in wesentlichen Punkten verändert und erweitert. Dies liegt daran, dass ich sämtliche Theorieelemente meiner Gehirntheorie ständig überprüfe und insbesondere die Übereinstimmung meiner theoretischen neuronalen Schaltungen mit der Cytoarchitektur des Wirbeltiergehirns vergleiche und dabei auch Widersprüche auflöse. In Gedanken gehe ich jede von mir beschriebene Schaltung tausende Male durch und prüfe gedanklich, ob das Analyseverhalten aus der Schaltungsarchitektur ableitbar ist. Daher sind mir auch in diesem Kapitel Ungereimtheiten aufgefallen, die korrigiert werden mussten. Auch ein Abgleich mit Theorieelementen der künstlichen neuronalen Netze und der Theorie der KI an sich erforderte Änderungen. Manche Erkenntnisse sind erst im Zusammenhang mit der Theorie der KI überhaupt verständlich geworden.
Sollte ein Leser bemerken, dass Theorieelemente meiner Gehirntheorie beim Vergleich älterer und jüngerer Texte einander widersprechen oder nicht ganz kompatibel sind, so mag er immer davon ausgehen, dass die jüngeren Texte näher an der Wahrheit sind als die älteren. Beispielsweise habe ich in meiner allerersten Monografie „Theorie der neuronalen Schaltung des Gehirns und des analytischen Denkens“ die Hypothese vertreten, dass das Gehirn prinzipiell binär arbeitet. Begriffe wie Einssignal, Einssignalkern, Negation, doppelte und vierfache Negation von Signalen treten dort häufig auf. Ein Grund liegt in der manipulativen Art vieler Veröffentlichungen der damaligen Zeit, deren Autoren begeistert zu sein schienen von der Vorstellung, dass das Gehirn eine Art Computer wäre. Computer arbeiteten damals und auch noch heute vorwiegend binär. Sollte ein Leser die genannte Monografie heute lesen, möge er die Begriffe „Negation“ generell durch „Inversion“ ersetzen. Der damals als Negation eingestufte Algorithmus ist in Wirklichkeit die Signalinversion. Beachtet man diese Korrektur, ist die genannte Monografie im Wesentlichen richtig und auch noch heute zutreffend. Zu meiner Ehrenrettung kann ich sagen, dass ich in dieser Monografie neben Negationskernen auch Inversionskerne beschrieben habe, bei denen die Hemmung nicht total, sondern nur relativ ist. Und ich habe bereits damals darauf hingewiesen, dass es äußerst schwierig sein könnte, Negationskerne von Inversionskernen zu unterscheiden, denn der cytoarchitektonische Schaltplan ist fast identisch.
Diese Korrektur betrifft wesentliche Kerne: Die Basalganglienkerne und die Kleinhirnkerne sind keine Negationskerne, sondern Inversionskerne.
Ich behalte mir vor, weitere Korrekturen in den bestehenden Monografien vorzunehmen. Mit steigendem Wissen ist die Erkennung von Theoriefehlern wesentlich einfacher als während der Hypothesenbildung. Doch nun zum Kapitel 20.
Viele Hirnforscher sind überzeugt davon, dass das Pontocerebellum eine Art natürliches neuronales Netz darstellt. Es könnte auch vermutet werden, dass es sich um ein tief geschichtetes neuronales Netz handelt. Diese Annahmen sind durchaus zutreffend.
Doch bevor wir hier den Nachweis führen, dass das Pontocerebellum ein Deep Neural Network darstellt, wollen wir den Weg nachvollziehen, den das Cerebellum im Verlauf der Evolution zurückgelegt hat. Insbesondere interessiert uns, wie aus dem frühen Spinocerebellum das spätere Pontocerebellum hervorgegangen ist. Denn so, wie aus dem urtümlichen Vestibulocerebellum das Spinocerebellum hervorging, indem die motorischen Signale den Vestibularsignalen gleichgestellt wurden und durch ihre Einbeziehung ein Teil des Vestibulocerebellums zum Spinocerebellum wurde, so entwickelte sich ein Teil des Spinocerebellums zum Pontocerebellum. Es wurde einfach ein zusätzlicher, anderer Input verarbeitet. Die neuronale Schaltung blieb die im Wesentlichen die gleiche.
Dies ist die Besonderheit des Cerebellums, dass es in allen seinen Subsystemen die gleiche, immer wiederkehrende neuronale Schaltung aufweist. Deshalb ist seine Arbeitsweise auch so schwer zu durchschauen und nur im Kontext mit der neuronalen Schaltung seiner Inputlieferanten und Outputempfänger zu verstehen. Dafür bedarf es wiederum umfangreicher neurologischer Kenntnisse.
Die Entstehung des Vestibulocerebellums habe ich in meiner Monografie „Gehirntheorie der Wirbeltiere“ im Kapitel 4.9 „Der Umbau des Vestibularsinns und die Entstehung des Cerebellums“ ausführlich dargestellt. Natürlich sind die dortigen Darlegungen als Theorie, also als Hypothese aufzufassen, auch wenn es sehr starke Indizien dafür gibt, dass es damals tatsächlich so gewesen ist. Dennoch sei es mir gestattet, die dortigen Ausführungen hier nochmals in Kurzform zusammenzufassen.
Der Vestibularsinn erfuhr im Verlauf der Evolution konstruktive Veränderungen. Seine früheste Form bezeichnen wir in dieser Monografie als Paläovestibularsinn. Diesen trifft man beispielsweise bei Polypen an.
In einer Vestibularhöhle, einem flüssigkeitsgefüllten Hohlraum, rollte ein durch eine kleine Öffnung eingedrungenes Sandkorns hin und her. Durch die Schwerkraft befand es sich an der tiefsten Stelle dieser Vestibularhöhle. Diese war mit Haarzellen ausgekleidet, die durch das Gewicht des Sandkorns verbogen und dadurch neuronal gereizt wurden. Wenn das Tier von der gewünschten Standardlage abwich, so wurden andere Haarzellen gereizt, deren Aktionspotentiale zu Kontraktion von Muskeln führten. Diese Korrekturbewegungen führten dazu, dass die Standardlage wieder eingenommen wurde.
Der Paläovestibularsinn war mechanisch und konstruktiv nicht die beste Lösung.
Ein Nachteil für diesen Vestibularsinn war seine Abhängigkeit vom zufälligen Vorhandensein eines Sandkorns in der Vestibularhöhle. Durch die Bewegungen des Sandkorns nutzten sich zudem die Haarzellen ab. Diese Nachteile führten zu einer evolutionären Umgestaltung des Vestibularsinnes.
Es bildete sich eine gallertige Schutzschicht, in die die Haarzellen eingebettet wurden, um sie zu schützen und ihre Lebensdauer zu verlängern. Das herumrollende Sandkorn wurde ersetzt durch ortsfeste, kleine kristalline Absonderungen (Statokonien) auf der gallertigen Masse, die vom Lebewesen selbst gebildet wurden. So entstand der Neovestibularsinn.
Die selbsterzeugten Statokonien waren nunmehr etwa gleichmäßig auf der Gallerte verteilt. Durch ihr Eigengewicht belasteten sie die in der Nähe befindlichen Haarzellen. Die an der tiefsten Stelle der Vestibularhöhle befindlichen Haarzellen wurden jedoch nur geringfügig abgebogen und waren daher am wenigsten erregt. Die Haarzellen waren nun vergleichbar mit einseitig eingespannten Blattfedern, an deren freien Ende sich ein kleines Gewicht befand. Während beim Paläovestibularsinn die aktivierten Haarzellen an der tiefsten Stelle der Vestibularhöhle maximal erregt wurden, trat beim Neovestibularsinn bei diesen Haarzellen keinerlei Erregung auf. Die an der tiefsten Stelle befindliche Haarzelle war genau parallel zum Schwerkraftverlauf ausgerichtet und daher am wenigsten verbogen, ihre Feuerrate war fast gleich null, also extrem minimal. Benötigt wurde jedoch eine Maximalerregung genau an dieser Stelle.
Die Natur wusste sich zu helfen, sie erfand die Signalinversion.
Bei der Signalinversion wird ein stärkeres Mittelwertsignal benötigt, welches in jeder Etage des segmentierten Nervensystem verfügbar war, weil es dort Mittelwertkerne gab. Im Vestibularsegment wurde dieses Mittelwertsignal mit jedem Vestibularsignal verknüpft. Das Mittelwertsignal wurde auf so viele Inversionsneuronen verteilt, wie es Haarzellensignale gab. Jedes Haarzellensignal hemmt nun sein ihm zugeordnetes Inversionsneuron, welches vom Mittelwertzentrum erregt wurde.
Dadurch kehrte sich die Signalstärke um. War das Haarzellensignal gleich Null, so blieb im Inversionsneuron das Mittelwertsignal als Restsignal übrig. War das Haarzellensignal mittelstark, so hemmte es den Mittelwert nur zur Hälfte, und der Output des Inversionsneurons war ebenfalls mittelstark. Ein sehr starkes Haarzellensignal hemmt den Signalmittelwert so stark, dass das Outputsignal des Inversionsneurons gleich null wurde.
Die Hemmung der Mittelwertsignale in den Inversionsneuronen lieferte ein invertiertes Vestibularsignal, welches nun wieder an der tiefsten Stelle der Vestibularhöhle den stärksten Wert annahm. Da die Inversionsneuronen erregend wirkende Neurotransmitter verwendeten, war der Output erregend und konnte zur motorischen Lagekorrektur verwendet werden.
Doch wie kam es dazu, dass die Haarzellensignale überhaupt ein Mittelwertsignal der Vestibularetage hemmen konnten?
Hier erwies sich die kontralaterale Hemmung in der Frühphase der Evolution als nützlich. Alle Signale konnten über den Seitenwechselkern ihrer Etage (ihres Segments) auf die kontralaterale Körperseite gelangen und dort hemmend einwirken. So wurde in der Frühzeit der Evolution die kontralaterale Hemmung realisiert. Beide Körperhälften standen in neuronaler Konkurrenz zueinander.
Auch der Output der Haarzellen des Vestibularsystems konnte über den Seitenwechselkern zur Gegenseite ziehen, wo er auf hemmende Transmitter umgeschaltet wurde. So wurde anfänglich die kontralaterale Hemmung organisiert. Doch eine Änderung bahnte sich an. Diese hemmenden Signale konnten den Weg zum Mittelwertkern der Vestibularetage finden und eigene Outputneuronen (Inversionsneuronen) generieren, die ihrerseits weiterhin die Mittelwerterregung empfingen. Die Hemmung der Mittelwerterregung führte zur Signalstärkeumkehr, also zur Signalinversion. Da waren die Outputsignale des Neovestibularsinns wieder zur motorischen Ansteuerung brauchbar, denn sie waren maximumcodiert. Auch in späterer Evolutionszeit wurden viele, auch hemmende Signale in die Mittelwertbildung der vorhandenen Mittelwertkerne einbezogen.
Der Seitenwechselkern, über den die Vestibularsignale zur Gegenseite zogen, entwickelte sich zum Nucleus olivaris. Die Umschaltneuronen, welche die Vestibularsignale vom erregenden Transmitter auf den hemmenden Transmitter GABA umschalteten, werden heute als Purkinjezellen bezeichnet. Die Inversionsneuronen bildeten den Nucleus fastegii.
Der Purkinjekern bildete mit dem Nucleus fastegii das Vestibulocerebellum. Es diente der Signalinversion der Vestibularsignale des Neovestibularsinns. Diese wurden aus dem minimumcodierten Zustand in den maximumcodierten Zustand überführt und dadurch motorisch brauchbar.
Im Verlauf der Evolution fanden auch andere Signal den Weg ins Vestibulocerebellum, vor allem die aus dem Rumpf aufsteigenden Signale des motorischen Systems sowie des sich entwickelnden Tast- und Schmerzsinns. Da das Rückenmark als Medulla spinalis bezeichnet wird, handelt es sich um spinale Signale, die dem Rückenmark zugeordnet werden. Sie fanden im Verlauf der Evolution einen Zugang zum Vestibulocerebellum.
Der Teil des Vestibulocerebellums, der diese motorischen Signale empfing, bildete bald einen separaten Teil des Cerebellums, welches als Spinocerebellum bezeichnet wird, weil es spinale Signale empfängt. Es invertiert die motorischen Signale der kontralateralen Körperhälfte und erregt mit den invertierten Signalen die motorischen Gegenspieler. So wurden die Erregung eines Muskels auf der einen Körperseite in eine inverse Erregung für den Gegenspielermuskel umgewandelt. Neurologen bezeichnen diese inverse motorische Erregung auch als Koaktivierung. Dadurch sind beide Muskeln angespannt und bilden einen Gelenkwinkel, dessen Wert vom Spannungsverhältnis beider Partner abhängt.
Diese Koaktivierung sorgte für eine bessere Körperspannung und war eine wichtige Voraussetzung für den Landgang der bisherigen Wassertiere. So konnte der Schwerkrafteinfluss kompensiert werden.
Grundsätzlich muss darauf hingewiesen werden, dass die spinalen Signale das Spinocerebellum über den Nucleus olivaris erreichten und so eine Kletterfaserprojektion ins Spinocerebellum schufen. Sowohl das Vestibulo- als auch das Spinocerebellum können die Aufgabe der Signalinversion nur wahrnehmen, weil die Signale über das Kletterfasersystem zu den Purkinjezellen gelangten, deren hemmender Output in den vorerregten Kleinhirnkerne zur Signalinversion führte. Im Zuge einer Erweiterungsphase des Cerebellums entstand viel später auch eine Moosfaserprojektion ins Spinocerebellum, die Signalinversion blieb jedoch seine Hauptaufgabe.
Im Gegensatz zu früheren Ansichten möchte ich die Signalinversion algebraisch als inverse Operation zur Addition verstanden wissen. Die ebenfalls mögliche Interpretation als inverse Operation zur Multiplikation hatte ich anfänglich angenommen, weil überall zu lesen war, dass Neuronen grundsätzlich nichtlinear arbeiten. Doch dies würde ich nicht mehr generell unterstützen.
Bei der Interpretation der Signalinversion als inverse Operation zur Addition würde eine Feuerrate f mit einer mittleren Feuerrate fm zu einer inversen Feuerrate f* kombiniert werden gemäß der Formel
.
Die Feuerrate von Mittelwertneuronen bei hinreichend vielen Inputlieferanten und hinreichend starker Erregung verlässt den linearen Bereich und nähert sich asymptotische der maximalen Feuerrate fmax. Diese maximale Feuerrate hat ihre Ursache in der Refraktärzeit. Diese Zeit benötigt ein Neuron nach dem Abfeuern eines Aktionspotentials, um erneut ein neues Aktionspotential zu erzeugen. Dadurch ist die Feuerrate nach oben begrenzt. In diesem Fall, der vor allem in späterer Evolutionszeit zutreffen dürfte, galt dann für die Signalinversion die Formel
,
wobei fm die mittlere Feuerrate darstellt, die etwa die Hälfte der maximalen Feuerrate entspricht.
Die Signalinversion ist im Wirbeltiergehirn auf zwei verschiedene Arten erreichbar:
- Signalinversion mit externem Mittelwertsignal
- Signalinversion mit interner Mittelwertbildung.
Das Vestibulocerebellum und das Spinocerebellum arbeiten mit einem externen Mittelwertsignal, welches sie von der Formatio retikularis beziehen. Erst das Pontocerebellum ändert dies, indem es auf eine interne Mittelwertbildung umsteigt.
Die Entstehung des Spinocerebellums ist ebenfalls in der genannten Monografie ausführlich dargelegt. Besonderes Augenmerk wurde dort auf die Wechselwirkungen zwischen motorischen und sensorischen Signalen gelegt.
Jedoch sollten wir jetzt eine Analyse seiner Arbeitsweise durchführen und uns auf die Signalverarbeitung der motorischen Signale konzentrieren. Parallel zur Herausbildung des Spinocerebellums begann die Entwicklung der Doppelschichten im Cortex, der aus der obersten Etage des frühen Strickleiter-Nervensystems hervorging.
Im vorigen Kapitel wurde gezeigt, dass aus dem Doppelschichtaufbau des Cortex ein Doppelschichtaufbau des Nucleus olivaris abgeleitet werden kann. Wir betrachten beispielhaft die ipsilaterale Cortexhälfte.
Die untere Doppelschicht im ipsilateralen Cortex ist die evolutionär ältere. Sie weist den Körperseitenmarker der kontralateralen Seite auf, denn die Signale müssen absteigend und aufsteigend eine Signalkreuzung durchlaufen, deren Notwendigkeit sich aus dem Aufbau des Vestibularsinns ergibt. So gelangen sie auf die Gegenseite, wo der kontralaterale Körperseitenmarker vorherrscht.
Die obere ipsilaterale Doppelschicht ist der ipsilateralen Körperseite zuzuordnen, denn die aufsteigenden Signale der ipsilateralen Seite zogen über den Seitenwechselkern (Nucleus olivaris) zur kontralateralen Seite und von dort zum Cerebellum. Das kontralaterale Cerebellum projiziert wieder zum Cortex, wobei die Signale wieder die Seite wechseln und die ipsilaterale Seite erreichen. So erhält die cortikale Doppelschicht ein On-Signal der einen Körperhälfte und ein Off-Signal der kontralateralen Körperhälfte. Letzteres Off-Signal entsteht durch Signalinversion im Cerebellum aus den On-Signal.
Da jede Körperhälfte ihren eigenen Körperseitenmarker besitzt, der über die Projektionsaxone im System weitergegeben wird, treffen in der Doppelschicht in der unteren Schicht die kontralateralen Körpermarker ein und in der oberen die ipsilateralen Körpermarker.
Damit gibt es bereits in der cortikalen Doppelschicht von Inputneuronen die On-Off-Marker, die später über die Projektion zum Nucleus olivaris und zum Cerebellum weitergegeben werden und zur erkannten streifenartigen Verteilung in der Cerebellumrinde führen. Dies beschrieb ich ausführlich in der Monografie „Gehirntheorie des Menschen“ im Kapitel 17 „Die Doppelschichtentheorie nach Andreas Malczan“.
Im Verlauf der weiteren Evolution der Wirbeltiere kam es zur Entwicklung der Signaldivergenz. Wichtige Signale wurden für die Weiterleitung auf mehrere Outputneuronen verteilt, auf deren Axonen die Signalübertragung parallel erfolgte. Damit wurde die Datensicherheit verbessert. Einzelne Neuronen konnten absterben, ohne dass die Funktionsfähigkeit des Organismus gefährdet wurde.
Die Signaldivergenz trat in den Kernen auf, die evolutionär die jüngeren Neubildungen darstellten. Diese waren die zum Cerebellum gehörenden Substrukturen, da diese Neubildung erst kürzlich entwickelt wurde.
Wir unterstellen die Entstehung der Signaldivergenz im Nucleus olivaris. Er war der motorische Seitenwechselkern des Urhirns der Wirbeltiere. In der folgenden Abbildung wird die schrittweise Entstehung der Signaldivergenz symbolisch dargestellt. Mit M1, M2, M3 und M4 sind die Muskelsignale eines (einfachen) Gelenks bezeichnet.
Vor der Signaldivergenz bestand der Nucleus olivaris aus einer Doppelschicht von Outputneuronen. Eine Schicht leitete die On-Signale der Beugemuskeln zum Cerebellum, die zweite Schicht war für die Off-Signale zuständig. Die Anordnung der zwei Neuronenarten in unterschiedlichen Schichten war eine Folge des Prinzips, verschiedene Modalitäten räumlich zu trennen. Diese Aufspaltung der Modalitäten wird (offenbar) von Markersubstanzen gesteuert, die für die topologische Ordnung zuständig sind.
Im Unterschied zu früheren Ansichten (siehe Gehirntheorie der Wirbeltiere) gehe ich davon aus, dass die Signaldivergenz im Nucleus olivaris senkrecht zur Oberfläche dieses Neuronenkerns erfolgte. Grund war die Annahme, die Dicke der Outputschicht wäre einfacher zu realisieren als ein Breitenwachstum, bei dem völlig unklar wäre, wie die Markersituation sich hier gestalten würde. Im Schnittbild des Nucleus olivaris erkennt man, dass er von einer recht dicken Schicht aus Neuronen gebildet wird.
Wenn wir in der obigen Abbildung den On-Marker mit grüner und den Off-Marker mit roter Färbung andeuten, dann ergibt sich das folgende Bild.
Das Besondere ist, dass über die Outputaxone nicht nur die Outputsignale weitertransportiert werden, sondern ebenfalls die Markersubstanzen, so dass diese an die nachfolgenden Strukturen weitergegeben werden.
Die Outputsignale des On-Kanals sind invers zu den Signalen des Off-Kanals.
Je stärker das On-Signale eines Gelenks war, umso schwächer war das zugehörige Off-Signal. Die Signalstärken verhielten sich invers zueinander. Nur in der Mittellage des Gelenks waren beide Signalanteile gleich stark.
Nach der Signaldivergenz empfing jedes Outputneuron zwei Signalanteile: Das On-Signal und das Off-Signal. Je nachdem, wo sich ein Outputneuron im Nucleus olivaris befand, empfing es unterschiedlich starke On- und Off-Anteile von den zwei zugehörigen Inputneuronen. Dies lag einerseits daran, dass der Gelenkwinkel meist von der Mittellage abwich, andererseits gab es bei der Ausbreitung der Signalanteile eine Signaldämpfung, die mit der Entfernung exponentiell zunahm.
Mit zunehmender Entfernung eines Outputneurons zum On-Inputneuron nahm gleichzeitig die Entfernung zum Off-Inputneuron ab, so dass vom Inputsignal des On-Neurons weniger und vom Inputsignal des Off-Neurons mehr Signalstärke empfangen wurde. Die Überlagerung beider Signalanteile im Outputneuron ergab eine streng konvexe Funktion, die ein eindeutig bestimmtes Minimum aufwies. Die Lage des Minimums wird eindeutig vom Signalstärkeverhältnis der beiden Inputsignale bestimmt, also vom Verhältnis der Signalstärke des On-Signals zur Signalstärke des Off-Signals. Für die Extremwertberechnung muss man den Differentialquotienten der Überlagerungsfunktion auf null setzen und nach den Parametern der Signalstärke auflösen.
Für die Herleitung der Formeln nutzen wir nachfolgende Abbildung.
Die Feuerrate fOn eines On-Signals erreicht das untere Inputneuron des Nucleus olivaris (Axon Grün). Das zugehörige Off-Signal mit der Feuerrate fOff trifft in der oberen Schicht beim Inputneuron ein (Axon Rot). Beide Inputaxone haben eine beträchtliche Dicke, so dass es näherungsweise zu keiner Signaldämpfung kommt. Für die Interneuronen gilt dies nicht mehr. Einerseits sind deren Axone recht dünn, andererseits tragen sie keine isolierende Myelinhülle, da der Nucleus olivaris zur grauen Substanz gehört. Dadurch tritt eine abstandsabhängige Signaldämpfung statt.
Eingezeichnet ist ein willkürlich ausgewähltes Outputneuron (Rot). Dieses empfängt die Erregung des On-Signals, die jedoch den Weg 1-x zurücklegen muss und dabei eine Signaldämpfung erfährt, da die Axone innerhalb des Nucleus olivaris zur grauen Substanz gehören und kein Myelin besitzen. Aus der Kabelgleichung für marklose Axone kann man ableiten, dass die Inputfeuerrate fOn mit zunehmendem Abstand 1-x exponentiell gedämpft sein wird.
Gleiches gilt für die Inputfeuerrate fOff, bei der der Abstand x zu berücksichtigen ist.
Daher empfängt das Outputneuron (Rot) insgesamt folgende Erregung:
.
Hierbei ist λ die Längskonstante des Outputneurons.
Wir bedenken, dass die Feuerrate fOff durch Signalinversion aus der Feuerrate fOn hervorging, für welche das Inversionscerebellum zuständig ist. Prinzipiell gilt für beide Teilsignale die Gleichung fon + foff = fmax = 2fm.
Die resultierende Feuerrate f ist eine strikt konvexe Funktion, da jede Teilsumme strikt konvex ist. Daher existiert im Definitionsbereich ein globales Minimum.
Hierbei sind fon, fOff und λ als Konstante aufzufassen, so dass nur die Größe x als Variable übrigbleibt.
Wir bestimmen das globale Minimum durch Berechnung der ersten Ableitung und anschließendes Nullsetzen.
.
Wir formen um.
Offenbar wird für x = ½ der Wert von q gleich 1, so dass fon = foff wird. Sind beide Feuerraten identisch, so wird das Minimum genau in der Mitte zwischen den zwei Inputneuronen angenommen. Dies liegt daran, dass die Signaldämpfung in diesem speziellen Fall für beide Signalanteile identisch ist.
Wir sehen, dass es nur auf den Quotienten der zwei Feuerraten ankommt.
Das globale Minimum im Punkt x wird angenommen, wenn die obige Gleichung erfüllt ist. Wie man leicht erkennt, ist x eine streng monoton steigende Funktion von q, wenn q größer wird, dann wird auch x größer. Der Wert λ ist eine Konstante des Outputneurons.
Was bedeutet dies für das Wirbeltier und seine Vorstellungen von seinem eigenen Körper?
Wenn der Beugemuskel kontrahiert, wird fOn größer, und das globale Minimum im Punkt x wandert in Richtung größerer x-Werte. Dort befindet sich ein Outputneuron, welches nunmehr die kleinste Feuerrate aufweist. Kontrahiert der Streckmuskel, so wandert das Minimum in Richtung kleinerer x-Werte, das dort befindliche Outputneuron feuert dann am wenigsten.
Der Ort, an dem ein Outputneuron am wenigsten feuert, verschlüsselt den Gelenkwinkel. Damit hat die Natur einen Weg gefunden, Gelenkwinkel auf eine Neuronenmenge abzubilden derart, dass das Erregungsminimum in dieser Menge den Gelenkwinkel kodiert.
Nun hat ein Neuron, welches bei einem bestimmten Wert einer Urgröße (Gelenkwinkel) minimal feuert, kaum einen Nutzen für die Motorik, denn Muskeln brauchen starke erregende Signale. Hier erwies sich die Signalinversion des Spinocerebellums als außerordentlicher Vorteil.
Die Minimumcodierung wird im Kleinhirnkern durch eine Signalinversion wieder in eine sinnvollere Maximumcodierung übertragen.
Wir können nach den bisherigen Ausführungen folgendes zusammenfassen:
Im Nucleus olivaris findet durch die Signaldivergenz für die motorischen Muskelsignale eine Minimumcodierung der Gelenkwinkel statt. Diese wird im Kleinhirnkern in eine Maximumcodierung transformiert.
Das Spinocerebellum projiziert seinen erregenden Output zu dem kontralateralen Muskeln, indem es im Nucleus ruber der gleichen Körperseite die Outputneuronen aktiviert, die zu diesen Muskeln gehören. Die zugehörige Faserbahn der beteiligten Axone bildet den Tractus rubrospinalis und kreuzt (zum größten Teil) unterhalb des Nucleus ruber auf die Gegenseite, wo die kontralateralen Muskeln zu finden sind. Im Verlauf der Evolution bildet sich jedoch auch eine cortikale Projektion des Spinocerebellums, so dass auch der Cortex, genauer der dadurch neu entstehende Frontalcortex den Cerebellumoutput empfängt. Auch hier findet zuvor ein Seitenwechsel statt.
Nun könnten wir philosophisch werden:
Der Gelenkwinkel wird im Cerebellum minimumcodiert verschlüsselt, das Signalminimum repräsentiert den Gelenkwinkel. Aber nur Signalmaxima sind im Bewusstsein präsent. Dies bedeutet für uns, dass das Cerebellum das Unterbewusstsein beherbergt. Dieses wird generell minimumcodiert. Erst die Signalinversion im Kleinhirnkern (es gibt mehrere) überführt das unbewusste Signal in das Bewusstsein, indem der zuständige Kleinhirnkern es zum Cortex sendet. Damit wäre der Cortex der materielle Ort des Bewusstseins, während das Cerebellum das Unterbewusstsein darstellt. Diese Hypothese wird später präzisiert und untermauert, wenn wir das Pontocerebellum als Sitz des Unterbewusstseins identifizieren. Aber nun können wir nachvollziehen, wie ein Gedanke im Bewusstsein auftaucht. Das Cerebellum sendet ihn an den Cortex.
Doch das Spinocerebellum konnte die Gelenkwinkelanalyse beträchtlich verbessern. Dabei half ihm die Nutzung der Markertopologie und die Auswertung von Nachbarsignalen.
Aus dem Doppelschichtaufbau des Nucleus olivaris geht im Zusammenhang mit der einsetzenden Signaldivergenz die Streifenbildung des Cerebellums hinsichtlich spezieller Markersubstanzen hervor. Experimentell nachgewiesen wurde diese Streifenbildung in der Veröffentlichung „Purkinje cell neurotransmission patterns cerebellar basket cells into zonal modules defined by distinct pinceau sizes“ von Joy Zhou, Amanda M Brown, Elizabeth P Lackey, Marife Arancillo, Tao Lin and Roy V Sillitoe.
Wir verwenden noch einmal die letzte Abbildung des vorigen Kapitels, um uns die Situation im Cerebellum zu vergegenwärtigen, wobei wir sie geringfügig modifiziert haben. Mit Grün ist die Markerkonzentration zum On-Marker gekennzeichnet, mit Rot die des Off-Markers. Die jeweilige Markerkonzentration wird über die Axone vom Nucleus olivaris ins Cerebellum übertragen.
Dargestellt ist in der oberen Abbildung, wie die On-Signale von 4 Muskeln im Nucleus olivaris eintreffen. Zu jedem Muskel gibt es ein On-Signal (grün) und ein Off-Signal.
Da das Off-Signal immer das Muskelsignal des motorischen Gegenspielers darstellt, können wir die Darstellung auch so interpretieren, dass die Signale von 4 einfachen Gelenken im Nucleus olivaris eintreffen. Der Beugemuskel liefert das On-Signal, während der Streckmuskel des gleichen Gelenks das Off-Signal liefert. Beide Signalstärken verhalten sich invers zueinander, dies abzusichern war einst die ursprüngliche Aufgabe des Spinocerebellums, daher bezeichnen wir diesen frühen Teil des Spinocerebellums als Inversionscerebellum. Erst mit der Herausbildung der Signaldivergenz im Nucleus olivaris ging das Inversionscerebellum ins Spinocerebellum über.
Durch Signaldivergenz in Nucleus olivaris werden die Signale eines jeden Muskelpaares eines Gelenks auf die Outputneuronen einer vertikalen Säule übertragen. Diese besteht in der Abbildung (beispielhaft) aus jeweils 6 Outputneuronen. Die Axone dieser 6 zusammengehörigen Outputneuronen bilden eine Art Band, ähnlich wie ein neuronales Flachbandkabel. Die räumliche Anordnung der Axone in diesem neuronalen Flachbandkabel wird durch die Konzentration der On-Off-Markersubstanzen bewirkt, die über die Axone an das Cerebellum weitergegeben werden, wobei mit zunehmender Entfernung die Markerkonzentration abnimmt.
Der Nucleus olivaris projiziert in die Kletterfasern des Cerebellums. In unserem Fall liegen pro Gelenk 6 Kletterfasern vor.
Das neuronale Flachbandkabel der Kletterfasern überträgt die Signale ins Cerebellum, wobei dort (in unserem Beispiel) sechs Ketten von hintereinander geschalteten Purkinjezellen kontaktiert werden. In jeder Kette befinden sich in unserem Beispiel 6 Purkinjezellen, die den gleichen Input von ihrer Kletterfaser empfangen (Ansicht von oben!).
In früher Urzeit gab es pro Kletterfaser nur eine Purkinjezelle, dies war zu der Zeit, als es noch keine Signaldivergenz im Nucleus olivaris gab. Damals trafen das On-Signal und das Off-Signal vom Nucleus olivaris im Cerebellum ein und kontaktierten jeweils genau eine Purkinjezelle. So gab es eine On-Purkinjezelle und eine Off-Purkinjezelle für jedes einfache Gelenk. Beide lagen direkt nebeneinander.
Mit zunehmender Signaldivergenz im Nucleus olivaris erhöhte sich nicht nur die Anzahl der Outputneuronen im Nucleus olivaris und damit auch die Anzahl der Kletterfasern pro Gelenk. Die Anzahl der Purkinjezellen, die von der gleichen Kletterfaser kontaktiert wurden, nahm ebenfalls zu. Prinzipiell waren beide Anzahlen gleich. Entstanden aus den On-Off-Signalen im Nucleus olivaris beispielsweise 6 Kletterfasern pro Gelenk (wie in der Abbildung), so gab es pro Kletterfaser auch 6 Purkinjezellen, die von jeder dieser Kletterfaser erregt wurden. Es gibt viele Gründe, die dafürsprechen. Ein Hauptargument ist die Ausbildung der Moosfaserprojektion ins Spinocerebellum.
Der Output des Spinocerebellums hatte seit Anbeginn die Aufgabe, die Muskeln mit Kontraktionssignalen zu versorgen. Die Outputsignale mussten letztlich den motorischen Ausgangskern des Gehirns, also den Nucleus ruber erreichen. Sie zogen vom Kleinhirnkern aufwärts zum (motorischen) Frontalcortex und wechselten mit Hilfe der Neuronen der Klasse 3 zur sensorischen Seite des Frontalcortex. Dort wurde die sequentielle Signaldivergenz der Kletterfasern durch eine Signalkonvergenz rückgängig gemacht. Im Ergebnis dieser cortikalen Signalkonvergenz gibt es nun genau so viele cortikale Projektionsaxone der Klasse 5, wie es Divergenzneuronen im Nucleus olivaris gibt. Da aber letztlich zu jedem einfachen Gelenk nur ein On-Signal und nur ein Off-Signal gibt, erfolgt im Nucleus ruber eine weitere, letzte Signalkonvergenz zur Wiederherstellung dieses On-Off-Signalpaares. Dieses Signalpaar steuert nun die zwei Muskel an, den Beugemuskel und den Streckmuskel. Zusätzlich projiziert dieses On-Off-Neuronenpaar wieder in den Nucleus olivaris, so dass eine Art Signalschleife entsteht, in der diese Signale ständig rotieren und dafür sorgen, dass diese zwei Muskel ihre Spannung nicht verlieren und der eingestellte Gelenkwinkel solange erhalten bleibt, bis zusätzliche Signale in diese Signalschleife gelangen.
Durch die Signalkonvergenz entsteht im Nucleus ruber ein Gebiet mit größeren Neuronen, deren Dendritenbäume recht groß sein müssen, um die Signale der vielen Axone für die Signalkonvergenz zusammenzufassen. Dieser magnocellulare Teil des Nucleus ruber ist Neurologen recht früh aufgefallen.
Auch im Cortex, auf seiner motorischen Seite, bilden sich durch die vorgenommene Signalkonvergenz Outputneuronen mit einem größeren Dendritenbaum. Sie werden uns viel später als Betzsche Riesenzellen begegnen.
Eine Besonderheit, ohne die diese Schaltung nicht funktionieren würde, muss erklärt werden. Im Kleinhirnkern wird nicht nur die Signalstärke invertiert, sondern auch die On-Off-Markerkonzentration. Die zwei Marker sind (prinzipiell) den zwei Körperhälften zugeordnet. Die Formatio reticularis bildet auf jeder Körperseite einen starken Signalmittelwert aus den Signalen dieser Seite, dabei nimmt sie ein Maximum des jeweiligen Körpermarkers auf. Diese Markerkonzentration erreicht über die Axone den Kleinhirnkern und gibt dort in jedem Outputneuron den Maximalwert dieses Körpermarkers weitet. Durch den zusätzlichen Input über die Kletterfasern, die ja auch eine Markerkonzentration mitbringen, kehrt sich die On-Off-Situation um, es kommt zu einer Markerinversion.
Dadurch dreht sich das Markerverhältnis in den Moosfasern und den cortikalen Projektionsaxonen um. Erst dadurch entsteht ein kompletter Signalkreislauf, bei dem die Signalwerte der einzelnen Kletterfasern, Cortexfasern und Moosfasern ohne zusätzliche Signaleinwirkung von außen stabil und konstant bleiben.
Vergleicht man den Input des Nucleus olivaris mit dem Input des Nucleus ruber, so stellt man fest, dass die Signale „vertauscht“ sind. Dies hängt damit zusammen, dass der Output des Nucleus olivaris minimumcodiert ist und im Kleinhirnkern invertiert wird und daher anschließend maximumcodiert ist. Somit muss prinzipiell eine Art Signaldrehung vorgenommen werden, damit der Output des Nucleus ruber wieder dem ursprünglichen Input des Nucleus olivaris entspricht. Vorbereitet wird diese Signaldrehung durch die Inversion der Stärke der On-Off-Marker im Kleinhirnkern.
Erforderlich wird diese Signaldrehung auch dadurch, dass der motorische Cerebellumoutput immer die Gegenspielermuskeln ansteuert. Daher wird das Outputsignal der Sehnenorgane eines Beugemuskels immer der Muskelplatte des zugehörigen Streckmuskels zugeführt. Dies bleibt auch nach dem Beginn der Signaldivergenz so.
Der Kleinhirnkern benötigt für die Signalinversion ein starkes Mittelwertsignal von einem Mittelwertneuron (MWN) der Formatio reticularis (FR).
Jedes Rechteck, in dem alle Purkinjezellen ohne Ausnahme den Input eines einfachen Gelenks empfangen, werden wir in dieser Monografie als Elementarmatrix (und später als Cluster) bezeichnen. Der Grund liegt darin, dass der Input vom gleichen Elementarsignal abstammt, aus dessen On- und Off-Variante sich durch Signaldivergenz der Input der Kletterfasern dieser Elementarmatrix ergibt. Anstelle eines (dualen On-Off) Gelenksignals kann jedes andere Elementarsignal ebenso eine derartige Elementarmatrix bilden (visuelle Signale, akustische Signale, Tastsignale, …). Es muss nur in seiner dualen Form als On-Off-Signal vorliegen. Wichtig ist, dass die Anzahl der Kletterfasern in jeder Elementarmatrix mit der Anzahl der Purkinjezellen identisch ist, die bei jeder Kletterfaser vorhanden sind. Daher gibt es zu n Kletterfasern n² Purkinjezellen.
In der obigen Abbildung besteht jede Elementarmatrix (beispielhaft) aus 16 Purkinjezellen und 4 Kletterfasern.
Für den späteren Gebrauch treffen wir eine Sprachregelung zur Elementarmatrix. Die Spalten der Matrix werden wir auch als Kletterfaserspalten bezeichnen, da alle in ihr angeordneten Purkinjezellen den Input von genau einer Kletterfaser erhalten.
16 Purkinjezellen einer Elementarmatrix bilden 16 Outputaxone, die zum zuständigen Kleinhirnkern ziehen und dort 16 Outputneuronen hemmen, die ihrerseits von Mittelwertsignalen der Formatio reticularis (und später von anderen Signalen) erregt werden. Dadurch findet eine Signalinversion statt. Jedes der 16 Purkinjesignale einer Elementarmatrix wird im Kleinhirnkern invertiert. Somit erzeugt jede Elementarmatrix 16 Outputsignale des Cerebellums, die zum Cortex ziehen, wobei sie auf diesem Weg die Signalkreuzung im Gehirn durchlaufen müssen.
Natürlich können wir uns fragen, warum diese Cerebellumsignale zum Cortex ziehen. Denn vor der Signalinversion zogen sie über den Nucleus ruber zu den Gegenspielermuskeln. Aber nach der Signalinversion gab es viel mehr motorische Signale als Muskeln. Die meisten hatten keine direkten motorischen Ziele mehr. Daher fanden diese Signale den Weg aufwärts zum Frontalcortex, den es so vorher nicht gab. Und der Frontalcortex im Zusammenwirken mit dem Nucleus ruber konnte die Signaldivergenz rückgängig machen und so die ursprünglichen motorischen Signale zurückgewinnen.
Die extremwertcodierten Cortexsignale, die anschließend einer ersten Signalkonvergenz unterzogen wurden, verhielten sich irgendwann in Verlauf der Evolution so wie die ursprünglichen Cortexsignale: Sie zogen abwärts in Richtung Rumpf, wobei sie unter anderem über die Substantia nigra pars compacta den Weg ins Basalgangliensystem fanden. Ebenso konnten sie einen Weg ins limbische System bilden und an der Signalrotation in den neu gebildeten Papez-Kreisen teilnehmen. Ganz wichtig war jedoch die Herausbildung einer neuen Projektion zurück zum Spinocerebellum. Diese Projektion wird als Moosfaserprojektion bezeichnet.
Die maximumcodierten Signale des Cortex, der diese vom Cerebellum empfing, vollzogen zunächst einen Seitenwechsel zur anderen Seite. Dazu zogen sie auf Axonen zu den Brückenkernen und von dort zum Cerebellum, in Richtung des ursprünglichen Ausgangsortes. Auf dieser Signalprojektion beruht das Moosfasersystem. Die Moosfasern leiten den über die Brückenkerne kommenden Input an das Cerebellum weiter. Hierbei müssen sie die Signalkreuzung des Gehirns durchlaufen und die Körperseite wechseln. Dieser Seitenwechsel ist in der folgenden Abbildung nur symbolische angedeutet.
Das Vorhandensein von Brückenkernen ist nicht bei allen Wirbeltieren gesichert. Es scheint, sie seien (nach Gerhard Roth) erst bei den Vögeln deutlich wahrnehmbar ausgebildet, Säugetiere besitzen sie ebenfalls. Möglicherweise sind sie bei Fischen und Reptilien nur rudimentär ausgebildet, also erst im Entstehen begriffen. Der Grund wird in diesem Kapitel weiter unten genannt.
Wir nehmen nun an, die Moosfasern erreichen uns in der obigen Abbildung von links. Wir hatten vorausgesetzt, dass die neuronalen Flachbandkabel der verschiedenen Elementarmatrizen sich stapelweise anordnen und die Topologie der Markerkonzentration beachten. Hierbei verläuft jedes Flachbandkabel aus Axonen genau bis zu dem Rechteck, in dem sich die ihm zugeordnete Elementarmatrix aus Purkinjezellen befindet. Dies ist sein ursprünglicher Herkunftsort. Jedes Axon der Moosfaser, egal welcher Markerkonzentration, findet den Weg zu der Elementarmatrix, von der es ursprünglich im Cerebellum abstammt. Da es innerhalb dieser Moosfasern eine Gruppenbildung nach Markerkonzentrationen gibt (als unterschiedliche Farben dargestellt), gehen wir wieder davon aus, dass Moosfasern mit gleicher Markerkonzentration räumlich zusammenbleiben und sich nicht mit Moosfasern anderer Markerkonzentration vermischen.
So erhält das Spinocerebellum über die Moosfasern seinen eigenen Output wieder, dessen Weg über den Kleinhirnkern, den Thalamus, den Cortex und die Brückenkerne führte (einige weitere Kerne werden ebenfalls durchlaufen, etwa der Torus semicircularis oder das Tectum opticum).
Hierbei findet jedes Moosfasersignal seinen Weg zu genau der Elementarmatrix, von der es abstammt. Wir unterstellen hier eine Steuerung durch weitere Markersubstanzen, die wir Organmarker nennen könnten, wenn wir jedes Gelenk als separates Organ auffassen. Jede Elementarmatrix erhält ihren eigenen Output als Input zurück.
Die Signale der Moosfasern übernehmen die Markertopologie von den ursprünglichen Purkinjezellen, von denen sie abgeleitet wurden. Daher bilden die Moosfasern zu einer Elementarmatrix ebenfalls ein neuronales Flachbandkabel, welches die gleiche Markertopologie aufweist wie die Purkinjeaxone. Die zugehörigen Signale der zu einer Elementarmatrix gehörenden Moosfasern sind jedoch im Gegensatz zu den Kletterfasern maximumcodiert, eine Moosfaser in jedem neuronalen Flachbandkabel ist am stärksten erregt.
Da die Moosfasern orthogonal zu den Kletterfasern verlaufen und eine eigene Markertopologie besitzen, muss es zwischen den Datenkabeln der Kletterfasern und den der Moosfasern eine Art Sperre für die beteiligten Markerstoffe geben, die eine Diffusion der Markermoleküle erschwert.
Die ursprüngliche Minimumcodierung der Kletterfasern wurde im Kleinhirnkern invertiert und deshalb maximumcodiert, diese wurde über die cortikale Projektion und die Projektion über die Brückenkerne an die Moosfasern weitergereicht.
Allgemein bekannt ist inzwischen (hoffentlich), dass die Kletterfasern orthogonal zu den Moosfasern und auch zu den Parallelfasern verlaufen. Dies ist das evolutionäre Erbe aus der Frühzeit der Cerebellumbildung.
Ursprünglich standen beide Körperhälften in neuronaler Konkurrenz zueinander. Jeder Nucleus ruber projizierte über den Seitenwechselkern (Nucleus olivaris) erregend in den Nucleus ruber der kontralateralen Körperseite in hemmende Interneuronen.
Die verwendeten Projektionsaxone bildeten mit der senkrechten Körperachse einen rechten Winkel. Sowohl die Inputaxone als auch die Outputaxone des Nucleus olivaris (des Seitenwechselkerns) verliefen orthogonal zur Körperachse. Dies blieb auch so, als sich die hemmenden Interneuronen des kontralateralen Nucleus ruber zu einem eigenständigen Kern absonderten, der sich später als Nucleus Purkinje zur Cerebellumrinde weiterentwickelte. Die vom Cortex (nach einem Seitenwechsel) in Richtung Rumpf vertikal absteigenden Signale kamen von oben kommend und nach unten strebend am Cerebellum vorbei, wo sie mit den Purkinjezellen in räumlichen Kontakt kamen. Hier verliefen die Kletterfasern von der Olive orthogonal zu den absteigenden Cortexsignalen. Kletterfasern und Moosfasern verlaufen daher seit Urzeiten orthogonal zueinander. Die aus den Moosfasern abgeleiteten Parallelfasern übernahmen diese Orthogonalität, die wir noch heute beobachten können.
Die Orthogonalität dieser beiden Fasersysteme war eine wesentliche Voraussetzung für die Entstehung von intelligentem Verhalten und später für die geistige Intelligenz. Dies wird in diesem Kapitel erläutert und später präzisiert.
Für das Spinocerebellum ergibt die Analyse seiner neuronalen Schaltung einen Einblick in eine ungewöhnliche und völlig neue Art seiner Signalverarbeitung. Anfänglich schien es, als sei die Signalinversion motorischer Signale zur Gewinnung der Steuersignale für die motorischen Gegenspieler die Hauptaufgabe des Spinocerebellums. Doch durch die Signaldivergenz und die Orthogonalität zwischen Kletterfasern und Moosfasern sowie Parallelfasern ließ sich herausfinden, dass das Spinocerebellum deutlich mehr kann und zu einer Signalanalyse fähig ist, die der Autor bei den Primaten vorfand.
Im Kapitel „4.2. Divergenzmodule mit seitlicher Signalausbreitung“ dieser Monografie beschrieb ich die Theorie der Divergenzmodule mit seitlicher Signalausbreitung. Es zeigte sich, dass dadurch beispielsweise erklärbar war, warum ein Erregungsmaximum im Cortex auf einer Kreislinie umherwanderte, wenn der Affe in einer Versuchsanordnung mit seinem Arm einen Heben kreisförmig bewegte. Sein Gehirn überführte die periodische Bewegung des Arms in eine periodische Bewegung des cortikalen Erregungsmaximums.
Ebenso konnte ich zeigen, dass im visuellen Bereich durch Divergenzmodule mit seitlicher Ausbreitung periodische Bewegungen einer rotierenden Geraden im Sichtfeld in periodische Bewegungen eines zugehörigen Erregungsmaximums im visuellen Cortex hervorrufen.
Als ich diese Analyseeigenschaft von Divergenzmodulen prinzipiell erkannt hatte, tauchte in meinem Unterbewusstsein die Frage auf, wie denn beispielsweise Vögel periodische Bewegungen des Körpers oder visueller Objekte analysieren konnten. Über Divergenzmodule mit seitlicher Signalausbreitung verfügten sie (nach meiner Theorie des DVR und des Hyperpalliums) nicht. Ihr Gehirn hatte keine Zellsäulen wie der Primatencortex. Dennoch beweisen Vögel tagtäglich, dass sie zur Analyse periodischer Vorgänge fähig sind. Bereits ihr Flug ist das Ergebnis der Analyse aller mit dem Vogelflug verbundenen periodischen Bewegungen.
Also begann die Spurensuche nach der Ursache dieser Analysefähigkeit der Vögel. Da das Spinocerebellum nach Ansicht aller Experten für die motorische Feinkoordination zuständig ist, musste sich im Spinocerebellum eine Signalanalyse verbergen, die es zu finden galt.
Die Suche wurde 20.01. 2025 fündig und bescherte uns einen völlig verborgenen Algorithmus zur Signalanalyse periodischer Signale. So entstand das Kapitel 20 mit dem Titel „Das Konnektom des Spinocerebellums“. Doch es sollte nochmals ein halbes Jahr vergehen, bis die letzten Ungereimtheiten beseitigt waren und dieses Kapitel völlig neu in seiner jetzigen Fassung verfasst werden konnte.
Als sich eine Moosfaserprojektion ins Spinocerebellum etablierte, konnten die Cortexsignale der Moosfasern mit den Signalen der Kletterfasern in Verbindung treten und aufeinander einwirken. Weiter oben, vor allem in der Abbildung, wurde deutlich gemacht, dass es prinzipiell die gleichen Signale sind, die sowohl über die Moosfasern als auch über die Kletterfasern das Spinocerebellum erreichen. Dies ist eine extrem wichtige Einsicht, die uns der Lösung aller Fragen zum Spinocerebellum näherbringt.
Wir gehen zurück zur Anfangszeit, als die Moosfasern und die Kletterfasern erstmalig Kontakte aufbauten. Die Purkinjezellen existierten bereits und empfingen den Kletterfaserinput. Sie hatten nur synaptischen Kontakt zur jeweils einer einzigen Kletterfaser, es gab keine großen Dendritenbäume. Nun gehen wir in der Zeitachse etwas weiter zu der Zeit, als sich die Signaldivergenz im Nucleus olivaris entwickelte. Die Dendritenbäume der Purkinjezellen begannen sich auszubilden, zunächst recht klein und rundlich. So kamen sie in die Nähe der durch dieses Gebiet ziehenden Moosfasern. Wenn im Nucleus olivaris aus einem On-Off-Signalpaar n abgeleitete Signale durch Signaldivergenz entstanden, und jede daraus hervorgehende Kletterfaser im Cerebellum wieder n Purkinjezellen kontaktierte, so gab es n² Purkinjezellen. Die Zahl der Purkinjezellen wuchs quadratisch mit dem Grad der Signaldivergenz. Ebenso wuchs auch die Anzahl der Moosfasern quadratisch mit dem Grad der Signaldivergenz. Daher mussten die Dendritenbäume der Purkinjezellen mitwachsen, größer werden und letztlich extrem groß werden. Aber auch die Axone der Körnerzellen, welche als Interneuronen die Moosfasererregung zu den Purkinjezellen weiterleiteten, mussten länger werden, da die Anzahl der zu erreichenden Purkinjezellen mit dem Grad der Signaldivergenz zunahm.
Der synaptische Kontakt wurde durch Körnerzellen hergestellt. Diese fassen wir als Interneuronen des Cerebellums auf.
Das Prinzip war recht simpel:
Jedes Moosfasersignal hemmte die von seinem Axon erreichbaren Purkinjezellen, wenn das Moosfasersignal nicht identisch mit dem Signal der Purkinjezelle war. Neuronal ganz simpel: „Hemme alle Fremdsignale“.
Nun müssen wir nur noch klären, was im Cerebellum Fremdsignale sind.
Hier gilt das Prinzip der Signalverwandschaft. Dies gilt für On-Off-Signale, die durch Signalinversion auseinander hervorgehen. Sie sind (in erster Stufe) signalverwandt. Ebenfalls signalverwandt sind alle Signale, die durch Signaldivergenz auseinander hervorgehen. Damit sind alle Signale in einem neuronalen Datenkabel des Nucleus olivaris untereinander signalverwandt, wenn sie durch Signaldivergenz entstehen. Natürlich wird diese Signalverwandtschaft umso geringer, je weiter die Signaldivergenz im Nucleus olivaris voranschreitet.
Ein Hilfsmittel zur Ermittlung der Signalverwandtschaft im Cerebellum könnte das Verhältnis der On-Off-Marker sein, welche die topologische Ordnung im Cerebellum aufrechterhalten.
Nun wenden wir uns wieder dem Spinocerebellum zu und dessen Aufbau aus Elementarmatrizen. Dann gilt, dass alle Signale einer Elementarmatrix untereinander signalverwandt sind. Daher werden sie (auf diesem Stand der Evolution!) keine Kontakte miteinander bilden. Die Purkinjezellen werden mit Moosfasern, deren Signale aus dieser Elementarmatrix stammen, keinerlei synaptische Kontakte eingehen. Dies gilt vor allem in der Frühphase des Cerebellums, in viel späterer Evolutionszeit wurde diese Regel modifiziert, weil die Inputsignale einer Modifikation unterzogen wurden (Übergang von Elementarsignalen zu Mittelwertsignalen). Ein Verstoß gegen diese Regel aus der Frühzeit des Cerebellums hätte bedeutet, dass eine Purkinjezelle vom Input der Moosfasern der eigenen Elementarmatrix erregt wurden wäre. Da beide Signale zueinander invers waren, weil die Kletterfasern minimumcodiert und die Moosfasern maximumcodiert waren, hätte eine Überlagerung beider Erregungen eine Konstante ergeben, die der maximale Feuerrate entsprach, was in kürzester Zeit zu Schäden an der neuronalen Schaltung (Überlastung) geführt hätte.
Doch was passiert, wenn die Moosfasersignale von einer benachbarten Elementarmatrix stammen? Hier tritt die neuronale Konkurrenz zutage. Die Purkinjezellen einer Elementarmatrix werden von allen sie erreichenden Moosfasern gehemmt, wenn diese Signale aus einer fremden (benachbarten) Elementarmatrix eintreffen. So funktioniert neuronale Konkurrenz im Gehirn!
Damit die Purkinjezellen einer Elementarmatrix die Moosfasersignale einer benachbarten Elementarmatrix empfangen können, müssen Interneuronen diese Signalweitergabe ermöglichen. Diese Interneuronen waren die Körnerzellen. Wenn eine Körnerzelle jedoch die Aufgabe wahrnehmen will, die Purkinjezellen der Nachbarmatrix zu hemmen, mussten sie ihre Axone zu den Nachbarmatrizen hinüberwachsen lassen. Und weil das Körnerzellensignal gegenüber beiden Nachbarmatrizen ein Fremdsignal war, mussten die Axone sowohl nach links als auch nach rechts wachsen und dabei eine beträchtliche Länge entwickeln. Je weiter die Signaldivergenz voranschritt, um so breiter (und höher) wurden die Elementarmatrizen im Cerebellum, und umso länger mussten die Parallelfasern werden, um benachbarte Elementarmatrizen zu erreichen.
Daher ergab sich (im Verlauf der Evolution) die typische T-förmige Gestalt der Axone der Körnerzellen, die als Parallelfasern bezeichnet werden und die vertikal zu den Kletterfasern verlaufen. Sie übertrugen die Fremdsignale zu den benachbarten Elementarmatrizen. Fremdsignale hemmen die dort befindlichen Purkinjezellen. Dies ist das Signalprinzip des Spinocerebellums. Da die Moosfasern beträchtliche neuronale Datenkabel bildeten, die zudem auch übereinandergestapelt wurden, mussten die Axone der Körnerzellen zunächst senkrecht nach oben aufsteigen, bis die diese recht dicken Stapel von Datenkabeln aus Moosfasern durchquert hatten, erst dann konnten sie sich T-förmig nach links und rechts verzweigen. Wir bezeichnen diese Axone als Parallelfasern. Nicht vergessen werden sollten auch die Datenkabel der Outputsignale, deren Signalanzahl ebenfalls quadratisch mit dem Grad der Signaldivergenz anwuchs. Ebenso verliefen die Kletterfaseraxone dort und bildeten ebenso ein Datenkabel.
Die T-förmige Aufgabelung der Körnerzellaxone ist nicht zwangsläufig bei allen Wirbeltieren aufgetreten. Gerhard Roth (* 15. August 1942; † 25. April 2023), einer des bedeutendsten Hirnforscher Deutschlands, beschreibt eine Ausnahme davon in der Veröffentlichung „Die Granularschicht des Mormyriden-Kleinhirns: Laterale Anordnung gegenüber der Molekularschicht“, Roth G. & Diecke F.P.J. (1978), Anatomischer Anzeiger 141(3): 150–166. Bei den Mormyriden (auf Deutsch auch Nilhechte genannt) befindet sich die Körnerschicht im Cerebellum, genauer in der Vulvula cerebelli, nicht unterhalb, sondern seitlich der Molekularschicht. Die Körnerzellen senden ihre Axone gleich parallel zur Oberfläche aus und sind nicht T-förmig gegabelt. Diese Cerebellumstruktur dient der Auswertung mechanorezeptiver und elektrorezeptiver Signale, diese Fische können mit Hilfe selbsterzeugter elektrischer Felder ihre Umgebung analysieren und entwickeln dafür riesige Cerebellumstrukturen.
Die Bedeutung von Gerhard Roth kann unbestritten verglichen werden mit der Bedeutung von Charles Darwin. Charles Darwin erkannte Evolution der Arten und begründete damit eine völlig neue Sicht auf die Entwicklung des Lebens. Gerhard Roth erkannte die Evolution der Gehirne und zeigte, dass es in der Wirbeltierreihe eine fortlaufende, kontinuierliche Weiterentwicklung der Nervensysteme gab. In meinen Monografien wird genau diese Evolution aus signaltheoretischer Sicht beschrieben und analysiert.
Doch nun weiter zur Signaldivergenz, die im Verlauf der Evolution auch bei den Wirbeltieren auftrat. Sie wird aller Voraussicht in denjenigen neuronalen Strukturen begonnen haben, die als evolutionäre Neuentwicklungen gelten. Hierfür kommt der Nucleus olivaris in Frage, Teil des Seitenwechselsystems, welches gerade den Übergang von der kontralateralen Hemmung zur kontralateralen inversen Erregung vollzog, die in der Entwicklung des Cerebellums einen Höhepunkt hatte.
Anfangs war die Signaldivergenz im Nucleus olivaris noch gering, so dass es nur wenige Kletterfasern und ebenso wenige Moosfasern gab. Damals waren die Elementarmatrizen im Cerebellum noch recht klein. Daher waren die Axone der Körnerzellen recht kurz. Erst mit der Zunahmen der Signaldivergenz dehnten sich die immer größer werdenden Elementarmatrizen räumlich aus, so dass die Axone der Körnerzellen, die Parallelfasern, immer länger werden mussten, wenn sie eine benachbarte Elementarmatrix erreichen wollten. Wir müssen uns die Längenzunahmen der Parallelfasern, die ja eigentlich die Körnerzellaxone sind, als einen dynamischen Prozess vorstellen. Mit der quadratisch zunehmenden Anzahl der Purkinjezellen und Moosfasern mussten auch die Dendritenbäumchen der Purkinjezellen mitwachsen und erreichten bei Primaten schließlich riesige Ausmaße.
Damit die Parallelfasern der Körperzellen die Purkinjezellen hemmen konnten, mussten sie die Hilfe von Interneuronen in Anspruch nehmen, die im Cerebellum als Sternzellen bezeichnet werden. Die Parallelfasern der Fremdmatrizen erregten diese Sternzellen. Die Sternzellen hemmten die Purkinjezellen. So hemmte eine Elementarmatrix ihre Nachbarn.
Mit diesen Erkenntnissen lässt sich die Funktionsweise des Spinocerebellums prinzipiell gut erklären, vor allem aber zeigen, welche ungeheuren Vorteile dieses Spinocerebellum im Kampf ums Dasein ermöglichte.
Diese Erklärung wird nun geliefert. Als Autor, der diese Theorie des Cerebellums entwickelte, beanspruche ich dafür die Urheberrechte.
Wir konzentrieren uns auf die Motorik, auch wenn die Analyse anderer Modalitäten wie Sehen, Riechen oder Schmecken ähnlich verlief. Anfangs, in sehr früher Urzeit, schwammen die Tiere im Urozean. Trafen sie zufällig auf Futter, dann fraßen sie es auf. Eine zielgerichtete Bewegung auf das Futter wäre ein evolutionärer Vorteil im Kampf ums Dasein.
Wir wollen den Nachweis führen, dass das Spinocerebellum bereits sehr früh bei der Futtersuche behilflich war, weil es eine zielgerichtete Analyse der Motorik erleichterte.
Wir stellen uns ein einfaches Wirbelgelenk vor. Es ermöglicht eine (leichte) Krümmung der Wirbelsäule in jede beliebige Richtung. Wenn ein Fisch in früher Evolutionszeit die Krümmung seiner Wirbelsäule mit Hilfe visueller Beutesignale so steuern konnte, dass eine Vorwärtsbewegung ihn direkt zur Beute führte, besaß er einen großen evolutionären Vorteil bei der aktiven Verfolgung seiner Beutetiere. Doch dazu musste er in der Lage sein, festzustellen, welche Winkel von seinen Wirbelgelenken gebildet wurden. Er brauchte eine „Vorstellung“ von seinem Körper, eine umfassende Information über sich selbst. Dies ermöglichte das Spinocerebellum durch eine umfassende Signalanalyse.
Die Beweglichkeit der Wirbelsäule wird durch Facettengelenke ermöglicht.
Wir stellen uns ein derartiges Gelenk mit zwei Freiheitsgraden vor. Es soll die Bewegung in zwei Ebenen ermöglichen, die senkrecht aufeinander stehen. In der einen Ebene möge der Winkel α die Abweichung von der Mittellage bezeichnen, in der anderen Ebene sei es der Winkel β.
Bei einem Fisch könnte der Winkel α die Abweichung von der Körperachse in vertikaler Richtung angeben (Kopf heben oder senken), während β die Abweichung in der Horizontalen bestimmt (Kopf nach links oder rechts bewegen)
Wir stellen uns das Tectum opticum des Fisches (vereinfacht) auf der sensorischen Seite als eine kreisförmige Fläche von Neuronen vor, die Input von der ebenfalls kreisförmigen Netzhaut empfangen. Dort ist das neuronale Abbild eines kleinen Beutefisches zu sehen. Die Netzhautneuronen (Ganglienzellen) übertragen das visuelle Abbild der Beute in Signale aus Feuerraten.
Befindet sich der Beutefisch vorn, dann liegt sein neuronales Abbild in der Mitte des Tectums, anderenfalls außerhalb der Mitte, wobei die Winkel α und β die Abweichung von der Mitte bestimmen. Im Gebiet des neuronalen Abbildes feuern die Tectumneuronen und signalisieren: „Hier ist die Beute!“
Der Fisch wird auf die Beute zuschwimmen, wenn die Wirbelsäule eine Krümmung mit genau diesen Winkel α und β aufweist, so dass eine Vorwärtsbewegung zum Ziel führt, weil der Fisch dann mit dem Beutefisch „zusammenstößt“ und ihr Fressen kann.
Wie kann das Spinocerebellum diese Winkel ermitteln? Und wie kann es die beteiligten Gelenkwinkel α und β in eine ebene Abbildung überführen, die dem Tectum ähnelt, so dass das Abbild des Fisches über Interneuronen mit dem Abbild der Gelenkwinkel interferieren kann. Wie kann das Abbild der Beute das ebene Abbild der Gelenkwinkel beeinflussen?
Wir brauchen eine Abbildung der zwei Gelenkwinkel in der Ebene. Mathematisch ist dies eine Funktion zweier Variablen!
Zurück zum Wirbelgelenk. Es möge (vereinfacht) von vier Muskeln (später von 4 Muskelgruppen) angesteuert werden. Die ersten zwei Muskel verändern durch Kontraktion den Gelenkwinkel α. Die anderen zwei Muskel bewirken eine Veränderung des Winkels β. Jeweils ein Muskel ist der Beugemuskel, der andere der Streckmuskel.
Insgesamt gibt es vier Muskelsignale mit den zugehörigen Feuerraten: fα, fα*, fβ und fβ*. Mit dem Stern sind die Feuerraten der Streckmuskel gemeint, die sich invers zu den Feuerraten der Beugemuskeln verhalten. Somit bilden jeweils zwei Feuerraten ein On-Off-Signalpaar, eines für der Winkel α und eines für den Winkel β.
Die On-Off-Signale des Gelenkwinkels α mögen den Nucleus olivaris erreichen und dort durch Signaldivergenz auf ein minimumcodiertes neuronales Datenkabel transformiert werden, welches im Spinocerebellum über n Kletterfasern die Elementarmatrix A erreicht. Jede Kletterfaser kontaktiert n Purkinjezellen der Elementarmatrix A, so dass insgesamt n² Purkinjezellen benötigt werden. Der Output dieser n² Purkinjezellen zieht über einen Stapel aus n neuronalen Datenkabeln zum Kleinhirnkern. Dieser Cerebellumoutput wird im Kleinhirnkern invertiert und deshalb maximumcodiert. Er zieht aufwärts zum Cortex, von dort über die Brückenkerne zurück und erreicht als einen Stapel von n maximumcodierten Datenkabel über die Moosfasern der gleichen Elementarmatrix. Die Moosfasern ordnen sich im Cerebellum wieder nach ihren On-Off-Markerverhältnis.
Für den Gelenkwinkel β passiert das gleiche, jedoch enden die Datenkabel in einer benachbarten Elementarmatrix B des Cerebellums.
Da die signalliefernden Muskelspindeln des betrachteten Gelenkes räumlich eng benachbart sind (sie gehören z. B. zum gleichen Körpersegment), werden die On-Off-Signale des Winkels β nach der Signalinversion im Nucleus olivaris das Cerebellum in der Elementarmatrix B erreichen. Diese ist die rechte Nachbarmatrix der Matrix A. Damit sind beide Elementarmatrizen direkt benachbart und können über ihre Moosfasern mit Hilfe der Körnerzellen und deren Parallelfasern ihre Signale austauschen.
Nach unseren Überlegungen wird die Matrix A über die Parallelfasern die Matrix B hemmen, ebenso hemmt die Matrix B die Matrix A.
In beiden Fällen sind die Kletterfasern in Matrix A und auch in Matrix B minimumcodiert, da die zuführenden neuronalen Datenkabel für jeden der zwei Gelenkwinkel ebenfalls minimumcodiert sind.
Die Parallelfasern sind maximumcodiert. Grund ist die Signalinversion im Kleinhirnkern. Die eigenen Parallelfasern haben in der Elementarmatrix A bzw. B keine Wirkung. Die fremden Parallelfasern aus der Nachbarmatrix hemmen jedoch die Purkinjezellen. Denn Fremdsignale bewirken eine neuronale Konkurrenz.
Nun ist noch zu beachten, dass nicht jede Parallelfaser der Nachbarmatrix die Purkinjezellen einer Matrix hemmen kann. Denn die Axone der Moosfasern bilden ein topologisch wohlsortiertes Flachbandkabel, in dem es orthogonal zur Datenrichtung ein On-Off-Mischungsverhältnis der Marker gibt, welches von den On- und Off-Markern im Nucleus olivaris hervorgerufen wird. Daher kontaktiert eine Parallelfaser in der Elementarmatrix nur Purkinjezellen einer Zeile, da die Moosfaser an das On-Off-Markerverhältnis gebunden ist. Die Axone mit den Fremdsignalen der Nachbarmatrix können innerhalb des zugehörigen Datenkabels ihre horizontale Position nicht verlassen. So kontaktiert eine Moosfaser über ihre Körnerzellen nur die Purkinjezellen ihrer Zeile.
Der „parallele“ Verlauf vieler Signalleitungen im menschlichen Gehirn wurde eindrucksvoll nachgewiesen von den amerikanischen Forschern im Human Connectome Project. Dort sieht man, dass der Faserverlauf der Axone im Gehirn prinzipiell ungekreuzt organisiert ist, die Fasern vermischen sich nicht beim Verlauf von einem Ort zum anderen. Ähnliches sehen wir in der obigen Abbildung und führen diese Besonderheit (unter anderem) auf die Existenz von Markern zurück, die den Faserverlauf steuern.
Wir diskutieren nun die Überlagerung der neuronalen Erregungen der Kletterfasern und der Moosfasern (Parallelfasern) in einer Elementarmatrix des Cerebellums. Dazu benutzen wir einen Ausschnitt aus den bisherigen Abbildungen. Wir verwenden in diesem Beispiel eine Signaldivergenz auf 6 Kletterfasern, in der Elementarmatrix des Cerebellums werden 36 Purkinjezellen aktiviert, die wiederum 36 Outputneuronen im Kleinhirnkern aktivieren, so dass insgesamt 36 Moosfasern wieder über den Cortex und die Brückenkerne ins Cerebellum zurückkommen. Ebenso gehören zur Nachbarmatrix 36 Moosfasern, auf denen die Fremdsignale über Körnerzellen und deren recht lange Parallelfasern in der betrachteten Elementarmatrix eintreffen.
Zuerst schauen wir uns den Erregungsbeitrag an, den die Kletterfasern den Purkinjezellen zuführen. Er ist in y-Richtung (hier vertikal) konstant, besitzt jedoch in x-Richtung (horizontal) ein Minimum, dessen Lage xmin den Gelenkwinkel α verschlüsselt. Wir stellen dies beispielhaft als Grafik dar.
Man erkennt, dass in dem obigen Beispiel die Kletterfaser Nr. 5 den geringstem Erregungsbeitrag liefert, denn für x = 5 liegt ein globales Minimum vor. Dies gilt für alle Werte y.
Wir definieren eine neue Klasse von Funktionen. Es sei f(x) eine Funktion der Veränderlichen x. Dann bezeichnen wir die Funktion
als triviale Fortsetzung der Funktion in Richtung y.
Dann können wir bezüglich der Kletterfasern folgendes formulieren:
Die Kletterfasern realisieren mit ihren Axonen die triviale Fortsetzung der Kletterfasererregung in Richtung der Kletterfasern.
Jede Kletterfaser transportiert ihre eigene Erregung in die Richtung, in die sie sich ausbreitet:
.
Das globale Minimum xmin wird in der trivialen Fortsetzung in y-Richtung weitergegeben.
Die Parallelfasern verlaufen in x-Richtung. In x-Richtung sind die Funktionswerte für jeden Wert von y konstant. In y-Richtung weist die Erregung der Parallelfasern ein Maximum ymax auf. Da die Parallelfasern die Erregung der benachbarten Elementarmatrix (hier von rechts) übertragen, sind sie als Fremdsignale hemmend. Sie erregen Sternzellen, die wiederum die Purkinjezellen der Elementarmatrix hemmen.
Die Moosfasern mit den angeschlossenen Körnerzellen realisieren mit ihren Axonen, den Parallelfasern, die triviale Fortsetzung der Moosfasererregung in Parallelfaserrichtung.
Die stärkste Hemmungswirkung tritt dort auf, wo die Parallelfasern die größte Erregung, also ein Erregungsmaximum, besitzen.
Die Überlagerung der Kletterfasererregung und der Parallelfaserhemmung führt zu einer zweidimensionalen Erregungsfunktion in der Fläche der Elementarmatrix, die genau ein globales Minimum im Punkt P(xmax, ymax).
Da die eine Erregungskomponente der Kletterfasern eine triviale Fortsetzung in x-Richtung darstellt gemäß der Formel
,
während die Parallelfasererregung eine triviale Fortsetzung in y-Richtung ist gemäß der Formel
,
ergibt die Überlagerung der erregenden Kletterfasersignale mit den hemmenden Parallelfasersignalen der Nachbarmatrix die Summe
.
Diese Gesamterregung der Purkinjezellen ist eine Funktion von x und y. Doch wir haben hier eine Trennung der Variablen. Dies führt dazu, dass der globale Extremwert (falls es ihn gibt) mit den Extremwerten der zwei Ausgangsfunktionen identisch ist. Die x-Koordinate des globalen Minimums ist identisch mit der x-Koordinate der Kletterfasererregung, die y-Koordinate des Minimums ist identisch mit der Parallelfasererregung. Dies wird verursacht, weil die Ableitung von Null die Zahl Null ergibt. Je eine Koordinate weist den Funktionswert Null auf.
Damit verschlüsselt das globale Erregungsminimum in der Elementarmatrix die zwei Gelenkwinkel α und β. Die zum Punkt P(xmax, ymax) gehörende Purkinjezelle (bzw. diejenige, die diesem Punkt am nächsten kommt), codiert die Größen dieser zwei Gelenkwinkel des Drehgelenks. Sie besitzt die geringste Feuerrate. Auf ihrem Axon wird dieses Signal zu einem Outputneuron des Kleinhirnkerns übertragen, wo der Signalwert invertiert wird. So wird aus dem ursprünglichen Minimum ein Maximum.
Damit stellt die Elementarmatrix ein Koordinatensystem dar, in dem die x-Achse den Winkel α und die y-Achse den Winkel β repräsentiert (jedoch in einem nichtlinearen Maßstab). In z-Richtung können wir uns die Erregung der zugehörigen Purkinjezellen denken, die dort gitterförmig verteilt sind. Das globale Erregungsminimum im Punkt P(x,y) verschlüsselt eineindeutig die aktuellen Werte der Winkel α und β.
Damit ist das Ziel erreicht: Die zwei Gelenkwinkel eines Wirbelgelenks werden in der Ebene als Funktion dargestellt und können nun mit dem Beuteabbild des Tectums opticum interagieren.
Da alle Outputneuronen des Kleinhirnkerns in den Cortex projizieren, gibt es dort ein Signalabbild der cerebellaren Elementarmatrix, die wir als cortikale Elementarmatrix bezeichnen können. Sie verschlüsselt über die Lage des globalen Maximums in dieser Fläche die zwei Gelenkwinkel α und β. Die Maximumerregung ergibt sich durch die Signalinversion der Minimumerregung im Kleinhierkern.
Wenn nun der Gelenkwinkel α verändert wird, so wandert das Erregungsminimum im Cerebellum bzw. das Erregungsmaximum im Cortex in x-Richtung hin und her, es erfolgt eine waagerechte Bewegung des Extremwertes. Wird der zweite Winkel β des Gelenks verändert, so wandert der Extremwert entlang einer vertikalen Linie hin und her. Auch in der funktionalen Abbildung stehen beide Winkel orthogonal zueinander.
Gehören die zwei Gelenkwinkel zu einem Arm, der kreisende Bewegungen ausführt, so wird der Extremwert im Cerebellum und im Cortex eine Bewegung entlang einer Kreislinie vollführen. Die Größe des Kreises wird von der Armrotation abhängen. Rotiert der Arm in kleinen Kreisen, so wird das Abbild der Bewegung im Cerebellum und im Cortex aus kleinen Kreisen bestehen. Rotiert der Arm in großen Kreisen, so tut es der Extremwert im Cerebellum bzw. im Cortex ebenfalls in großen Kreisen.
Und weil die vom Cerebellum zum Cortex aufsteigenden Signale (unter anderem) durch die Struktur des optischen Tectums ziehen müssen, können die Tectumsignale (das Beuteabbild) diese Cerebellumsignale beeinflussen, indem sie ihnen ihre Erregung über Interneuronen zuführen und so die Motorik beeinflussen. Die Beute wird wie in einer Servolenkung die Muskeln so ansteuern, dass das Abbild der Gelenkwinkel (das motorische Erregungsmaximum) sich dem Abbild der Beute im Tectum annähert, bis beide übereinenderliegen. Nun muss nur noch eine Vorwärtsbewegung zur Beute erfolgen und sie kann gefressen werden.
Wir hatten bislang das Tectum opticum als annähernd kreisrunde Fläche beschrieben. Dies wird erst bei höher organisierten Wirbeltieren der Fall sein (Siehe Kapitel 3. „Der Wandel der Abbildungstopologie und der Übergang von zylindrischen zu sphärischen Körpermodellen“ in dieser Monografie). In der Frühzeit hatten alle Körpermodelle, einschließlich des Tectum opticum, eine prinzipiell zylindrische Form, die sich aus der Form des Neuralrohrs ergab. Hier konnte das Spinocerebellum über eine Neuralrohrprojektion die Krümmung der Wirbelsäule steuern. Dazu denken wir und die x-y-Ebene aus Kletterfasern und Moosfasern gedanklich so angeordnet, dass sie senkrecht zur Körperachse steht und die x-Richtung waagerecht sowie die y-Richtung senkrecht verlauft. Verbindet man den Extrempunkt P(xmax;ymax) mit dem Nullpunkt, so entsteht ein Vektor, dessen Richtung mit der Richtung der Körperkrümmung übereinstimmt. Eine kreisförmige Rotation dieses Vektors würde eine kreisförmige Änderung der Körperkrümmung anzeigen. Bildet man diesen Kreis idealisiert auf das hohle Neuralrohr ab, wobei die Projektion nur in den sensorischen Halbzylinder erfolgt, so müssen die cortikalen Outputneuronen nur wohlgeordnet auf die sensorische Hälfte des Neuralrohrs abgebildet werden. Dann ist eine Steuerung auch möglich, wenn die Körpermodelle zylinderförmig angeordnet sind (je ein sensorischer und ein motorischer Halbzylinder).
Die Gelenkwinkelanalyse von Gelenken mit zwei Freiheitsgraden ist eine hervorragende Körperanalyse, die das Spinocerebellum ermöglicht. Sie entspricht in etwa dem, was ebene Divergenzmodule erreichen können, die im Kapitel „4.2. Divergenzmodule mit seitlicher Signalausbreitung“ in der Monografie „Gehirntheorie des Menschen“ beschrieben werden (Link: https://www.gehirntheorie.de/Kapitel-4-2.html).
Allerdings haben wir es hier mit einer linearen Signaldivergenz im Nucleus olivaris zu tun, der Frühform aller Signaldivergenzen. Wir nennen sie linear, weil die Outputsignale sich entlang einer Linie ausbreiten. Sie ist generell minimumcodiert. Eine maximumcodierte Signaldivergenz in der Fläche entwickelte sich wahrscheinlich erst bei den Primaten. Frühe Wirbeltiere mussten auf die minimumcodierte Signaldivergenz mit der klassischen Kabelgleichung für myelinfreie Axone zurückgreifen, konnten jedoch damit die Signale auch recht gut analysieren. Als Folge der Minimumcodierung müssen sie das Spinocerebellum zur Signalinversion nutzen. Dort führt die Signaldivergenz und die Orthogonalität von Kletterfasern und Moosfasern (Parallelfasern) zu der gewünschten Körperanalyse.
Wären die beteiligten Neuronen Teile eines neuronalen Netzes, welches den Input aus dem Nucleus olivaris zugeführt bekommt, wäre es faktisch unmöglich, mit derart wenigen Neuronen die zugehörigen Gelenkwinkel α und β zu ermitteln und als Funktion zweier Variablen in der Ebene darzustellen.
Weiterhin wäre darauf hinzuweisen, dass die Schaltung der Elementarmatrizen im Cerebellum und Cortex völlig ohne irgendwelche Lernvorgänge auskommt. Auf dem beschriebenen Entwicklungsstand des Spinocerebellums ist keinerlei Lernen für diese Signalanalyse erforderlich!
Hier muss dringend mit dem Mythos aufgeräumt werden, das komplette Gehirn wäre ein lernendes neuronales Netz. Große Teile des Gehirns dienen der Signalanalyse und erbringen intelligente Leistungen ohne Hebbsches Lernen oder LTP oder LTD. Sie vollbringen genau diejenigen Leistungen, die die Signalanalyse und Signalaufbereitung beim Deep Neural Learning realisieren. Denn auch künstliche neuronale Netze werden nicht mit Originaldaten (z. B. Fotos, Schall, Lexika) gefüttert, sondern diese müssen erst mit großem Aufwand aufbereitet und in die richtige Datenform gebracht werden. Dies erfordert bereits riesige Rechnerleistung. Beim Gehirn ist es nicht anders. Große Teile des Gehirns dienen der Datenaufbereitung. Dazu braucht es keinerlei Lernvorgänge, kein Hebbsches Lernen, kein LTP oder LTD, sondern nur mathematisch begründete Algorithmen, die es zu erkennen gilt und die sich in den neuronalen Schaltungen meist erfolgreich verstecken.
Eine Antwort wurde dem Leser versprochen. Warum haben Fische keine oder nur rudimentär ausgebildete Brückenkerne und somit auch keine oder nur eine sehr geringe Moosfaserprojektion ins Spinocerebellum?
Der Grund ist Simpel: Fische haben pro Wirbelgelenk nur 2 Muskel, die den Gelenkwinkel α einstellen. Einen zweiten Winkel β können sie nicht einstellen, da ihnen dazu die nötigen Muskeln fehlen. Daher brauchen sie auch keine Elementarmatrix, die den Zusammenhang zwischen dem Winkel α (links/rechts) und dem Winkel β (oben/unten) analysieren kann. Der zweite Winkel existiert nicht. Ihre Wirbelgelenke haben nur einen Freiheitsgrad. Ihr Spinocerebellum ist daher sehr simpel aufgebaut. Pro Wirbelgelenk gibt es einen Bogen aus einer Reihe von Purkinjezellen, die den Gelenkwinkel dieses Wirbels minimumcodiert analysieren. Pro Wirbelgelenk gibt es eine derartige Purkinjezellreihe. Zusätzlich gibt es derartige Zellreihen für die Flossengelenke. Jede Purkinjezellreihe sendet ihre Outputsignale über den Kleinhirnkern zum Cortex, wo sie zur motorischen Seite wechseln und absteigend den Nucleus ruber erreichen. Dort wird die Signaldivergenz rückgängig gemacht. Eine cortikale Brückenkernprojektion ist nicht nötig, da ohne Nutzen.
Amphibien haben pro Wirbelgelenk vier Muskeln, also zwei Muskelpaare, können also ihr Wirbelgelenk in zwei Freiheitsgraden analysieren. Sie nutzen bereits die Elementarmatrizen im Spinocerebellum. Zu jedem Wirbelgelenk gibt es je zwei Elementarmatrizen, die (wahrscheinlich) je einen Cerebellumbogen bilden, der jeweils aus n Spalten von Purkinjezellen besteht, die von der gleichen Kletterfaser versorgt werden. Sie sind bogenförmig angeordnet, weil die Purkinjezellen außen mehr Platz brauchen als innen, wo sich die Zellkörper, die Kletterfasern und die Moosfasern befinden. Zu einem Cerebellumbogen gehören n derartige Spalten, die nebeneinander liegen. Im Prinzip sind die zwei Elementarmatrizen als Flächen Zylinderförmig nach Außen gebogen. Zu jedem Wirbelgelenk gibt es genau diese Anordnung. Zusätzlich existiert ein analoges Cerebellumsystem für die Gelenke der Extremitäten.
Reptilien haben pro Wirbelgelenk bereits drei Muskelpaare pro Wirbelgelenk, also 6 Muskeln pro Wirbelgelenk. In ihrem Spinocerebellum gibt es daher drei Elementarmatrizen nebeneinander pro Wirbel, die insgesamt drei nebeneinander liegende Cerebellumbögen bilden. Diese drei Cerebellumbögen gibt es für jedes Wirbelgelenk, so dass deren Anzahl ermittelbar sein sollte. Zusätzlich gibt es derartige Bögen für die Extremitäten.
Säugetiere besitzen pro Wirbelgelenk bereits vier Muskelgruppen, also insgesamt 8 Muskel. In ihrem Spinocerebellum muss es daher pro Wirbel vier Elementarmatrizen geben, die daher auch vier Cerebellumbögen bilden, die in einer Reihe liegen. Insgesamt gibt es davon so viele Reihen, wie es Wirbelgelenke gibt. Zusätzlich gibt es eine entsprechende Cerebellumstruktur für die Extremitätenmuskeln.
Nun könnte man meinen, die Signalverarbeitung im Spinocerebellum sei hier vollumfänglich erklärt worden. Doch mitnichten. Es gibt weitere Interneuronen im Cerebellum, die hier noch nicht behandelt wurden: Die Golgizellen und die Korbzellen. Weitere Interneuronen sind ebenfalls bekannt, jedoch ist die Theorienbildung hierzu vom Autor nach nicht abgeschlossen.
Am einfachsten erklären lassen sich die Aufgaben von Interneuronen aus ihrem Transmitter und ihrer Verschaltung aufklären, wobei die Prinzipien von Erregung und Hemmung zu beachten sind.
Interneuronen mit erregendem Transmitter sammeln neuronale Signale und leiten sie weiter. Interneuronen mit hemmendem Transmitter sammeln auch neuronale Signale und leiten sie weiter.
Für die Hemmung kann es zwei verschiedene Gründe geben:
- Entweder werden konkurrierende Signale gehemmt, was einer Kontrastverstärkung dient.
- Oder es werden Signalmittelwerte gehemmt, um Signale zu invertieren, also ihr Signalstärkeverhältnis umzukehren. Die Inversionsneuronen benötigen entweder externe Mittelwertsignale oder bilden diese selbst, indem sie die durch ihr Gebiet hindurchziehenden (erregenden) Signale anzapfen. Dafür brauchen sie größere Dendritenbäume.
Statistisch gesehen ist die Hemmung konkurrierende Signale häufiger. Neuronale Konkurrenz zwischen Signalen ist eine bevorzugte Möglichkeit, stärkere Signale stärker zu berücksichtigen. So wird sich auf das Wesentliche konzentriert. Dieser Ansatz wird uns helfen, die Aufgabe von Korbzellen und Golgizellen im Spinocerebellum zu verstehen. Die Aufgabe dieser Zellen im Pontocerebellum kann jedoch eine andere sein, da das Pontocerebellum andere Signalarten als Input empfängt.
Vorher erinnern wir uns, dass das Spinocerebellum ein Teil des sekundären Gehirnsystems ist. Es empfängt vom primären Gehirnsystem generell On-Off-Signalpaare, die jeweils zueinander invers sind. Beide sind analoge Signale, deren Signalstärke in eine Feuerrate transformiert wird. Zwischen diesen Signalen gibt es eine Signalkonkurrenz, wir werden diese als primäre Signalkonkurrenz bezeichnen. Sie wird im Cerebellum an die zwei zugehörigen, benachbarten Elementarmatrizen weitergegeben. Daher hemmen die Signale einer Elementarmatrix die zugehörige, benachbarte Elementarmatrix. Dies geschieht, indem die Moosfasern, die jeweils im Gebiet der zugehörigen Elementarmatrix enden, Körnerzellen kontaktieren und erregen. Deren Axone steigen nach oben auf, verzweigen sich und bilden die Parallelfasern. Diese erreichen durch ihre große Länge die zugehörige benachbarte Elementarmatrix und hemmen dort über zwischengeschaltete Sternzellen die dortigen Purkinjezellen. So wird die primäre Signalkonkurrenz zwischen diesen zwei Elementarmatrizen gewährleistet. Jede Elementarmatrix hemmt ihren zugehörigen Nachbarn.
Der Output des Spinocerebellums stellt Signale des sekundären Systems dar. Auch hier entwickelt sich im Verlauf der Evolution eine sekundäre Signalkonkurrenz, bei der die Signale ein und derselben Elementarmatrix untereinander konkurrieren. Auf Grund des speziellen Aufbaus des Cerebellums kommt es zur Ausbildung zweier an der sekundären Signalkonkurrenz beteiligten Arten von Interneuron. Die sekundäre Signalkonkurrenz im Spinocerebellum wird (nach Ansicht des Autors dieser Monografie) durch die Korbzellen und die Golgizellen realisiert. Die eine Korbzellen realisieren die sekundäre Signalkonkurrenz in y-Richtung, also in Richtung der Kletterfasern. Die Golgizellen realisieren die sekundäre Signalkonkurrenz in x-Richtung, also in Richtung der Moosfasern. Bei den Kletterfasern gibt es bei einem Divergenzgrad von n genau n Kletterfasern, die zueinander in Konkurrenz stehen. Aus ihnen gehen n² Moosfasern hervor, die in Gruppen von jeweils n Moosfasern mit gleichen On-Off-Markerverhältnis unterteilt sind, von denen jede Gruppe mit den anderen konkurriert.
Beginnen wir bei den Korbzellen. Sie zapfen die Signale der Parallelfasern (also der Axone der Körnerzellen) an und hemmen die Purkinjezellen. In der Nähe einer Purkinjezelle entfalten sie ihren größeren Dendritenbaum und empfangen so offenbar Teile des dort verfügbaren Inputs, der auch dieser Purkinjezelle zur Verfügung steht. Nun erinnern wir uns daran, dass jede Purkinjezelle keine Parallelfasern anzapft, deren Signal aus der gleichen Elementarmatrix stammt (Eigensignal). Stattdessen treffen die Parallelfaser aus der Nachbarmatrix ein und hemmen über zwischengeschaltete Sternzellen diese Purkinjezelle. Hierbei ist zu beachten, dass nur Parallelfasern mit einer einheitlichen Markerkonzentration der On-Off-Marker aus der Nachbarmatrix kontaktiert werden, da diese dort ebenfalls nach einem Markergradienten wohlgeordnet sind. Wir gehen davon aus, dass die Korbzelle, deren Zellkern sich in der Nähe einer Purkinjezelle befindet, genau diese Parallelfasern aus der Nachbarmatrix synaptisch anzapft und dabei auf das On-Off-Markerverhältnis achtet. Die empfangene Erregung dient nun der Hemmung aller Purkinjezellen in der betreffenden Spalte. Dazu bildet die Korbzelle ein langes Axon aus, welches sich in zwei Axone aufteilt, die genau dem Verlauf der Kletterfaser folgen. So wird jede Purkinjezelle dieser Kletterfaser von der genannten Korbzelle gehemmt. Dazu bildet die Korbzelle bei jeder kontaktierten Purkinjezelle ein korbartiges Axongeflecht aus, welches den Zellkörper der jeweiligen Purkinjezelle umschlingt und so eine recht starke Hemmung verursacht. Zu beachten ist, dass jede Purkinjezelle eine zu ihr gehörende Korbzelle besitzt. Daher wird jede Purkinjezelle von vielen Korbzellen gehemmt, deren Axone sich um den Zellkörper der Purkinjezelle wickeln.
Die Ausrichtung dieser Korbzellenaxone entspricht genau dem Verlauf der Kletterfasern. Wir unterstellen (hypothetisch), dass dadurch der Kontrast vergrößert wird. Die Erregung in dieser Spalte von Purkinjezellen ist minimumcodiert, jedoch ist dieses Minimum immer größer als Null. Dieses Minimum wird nun zusätzlich gehemmt durch die Korbzellen. Grund ist die Erregung dieser Korbzellen durch die Parallelfasern der Nachbarmatrix, deren Fremdsignal das Eigensignal dieser Elementarmatrix hemmt. Wenn die dadurch auftretende Minimumcodierung in y-Richtung (Spaltenrichtung) verstärkt werden soll, müssen die Dendriten der Korbzellen vom Fremdsignal erregt werden. Hemmen sie nun benachbarte Purkinjezellen, so wird die Hemmungswirkung des Fremdsignals aus der Nachbarmatrix verstärkt. Idealerweise nimmt das Minimum dann sogar den Wert Null an, so dass die nachfolgende Signalinversion im Kleinhirnkern den Maximalwert annimmt.
Prinzipiell ist deutlich, dass die durch Signaldivergenz gewonnenen, neuen Signale (Elementarsignale) untereinander in neuronaler Konkurrenz stehen. In y-Richtung wird die gegenseitige Hemmung durch die Korbzellen realisiert.
In x-Richtung erfolgt die neuronale Konkurrenz dieser Signale untereinander durch die Golgizellen. Hier muss ich meine eigenen, früheren Aussagen korrigieren.
Früher ging ich stets davon aus, die Golgizellen würden genutzt, um die Signale der Moosfasern abzuschalten. Im Pontocerebellum mag dies so (möglicherweise) sein. Doch diese Ansicht kann ich im Hinblick auf das Spinocerebellum nicht mehr vertreten. Eine umfangreiche Analyse der neuronalen Schaltung des Spinocerebellums lieferte eine andere Erkenntnis: Die Golgizellen verstärken den Signalkontrast zwischen den Purkinjezellen einer Zeile, also in Moosfaserrichtung. Dies muss begründet werden.
Wir unterstellen, dass es (möglicherweise nur bei Primaten) zu jeder Purkinjezelle eine zugeordnete Golgizelle in ihrer Nähe gibt. Diese Purkinjezelle zapft jeweils die Signale einer Gruppe von Moosfasern mit gleichen On-Off-Markerverhältnis an, die aus der Nachbarmatrix als Parallelfasern kommen und diese Purkinjezelle hemmen. Genau diese Parallelfasern erregen die Golgizelle. Deren Signal steht jedoch in sekundärer Signalkonkurrenz zu den Signalen der übrigen Gruppen von Moosfasern. Daher wird diese Golgizelle genau zu diesen konkurrierenden Moosfasern synaptische Kontakte bilden, indem sie an die Kontaktstellen zwischen diesen Moosfasern und den zugehörigen Körnerzellen andockt und dort hemmende Synapsen ausbildet. Die Moosfasersignale einer Gruppe mit identischen On-Off-Markern hemmt alle übrigen Gruppen mit davon verschiedenen On-Off-Markern. So wird die sekundäre Signalkonkurrenz in x-Richtung, also in Moosfaserrichtung realisiert.
Die Anzahl der Korbzellen und der Golgizellen wuchs im Verlauf der Evolution und damit auch ihre Hemmungswirkung auf die konkurrierenden Signale.
Nun ist nur noch zu erläutern, warum die Elementarmatrizen (auf diesem Stadium der Evolution) generell paarweise auftreten.
Wir unterstellen, dass die Moosfasern, die von einer Elementarmatrix abstammen, generell in genau in dem Gebiet enden, in dem sich diese Elementarmatrix befindet. Dadurch kommt eine eineindeutige Projektion des Cortex in das Spinocerebellum zustande. Wenn nun die Länge der Parallelfasern die auftretende Signaldivergenz berücksichtigt, dann kann eine Parallelfaser maximal die Nachbarmatrix erreichen.
Wir vergegenwärtigen uns das zugehörige Körpermodell – beispielsweise einer Amphibie in früher Evolutionszeit. Diese hatten, im Gegensatz zu den Fischen, bereits 4 Muskeln pro Wirbelsegment, also die zwei erforderlichen Muskelpaare, die für zwei zusammengehörige, benachbarte Elementarmatrizen pro Segment erforderlich sind. Fische konnten diesen Algorithmus nicht nutzen, da sie nur ein Muskelpaar pro Segment besaßen. Sie benötigten daher auch keine Brückenkerne. Der Output ihres Spinocerebellums steuerte einfach die kontralateralen Muskeln an. Doch nun weiter zum Beispiel mit den Amphibien.
Der Körper war segmentiert. Zu jedem Segment des Rumpfes gab es genau ein Wirbelgelenk. Dieses projizierte in ein Segment des frühen Neuralrohrs. Das zugehörige Cerebellummodell war wie der Körper eine Art langer Schlauch (mit Ventrikelflüssigkeit?), für jedes Segment gab es einen Schlauchabschnitt. In diesem befanden sich genau zwei Elementarmatrizen aus Purkinjezellen, die zu diesem Wirbelgelenk mit 2 Freiheitsgraden gehörten. Sie waren auf diesem Schlauchmodell nebeneinander angeordnet, je eine Elementarmatrix auf jeder Zylinderhälfte. Wir stellen uns diesen Cerebellumzylinder zu diesem Segment vor. Auf der einen Hälfte befand sich die eine Elementarmatrix, die für das Heben und Senken des Kopfes bzw. des Rumpfteils zuständig war. Auf der gegenüberliegenden Hälfte des Zylinders befand sich die zweite Elementarmatrix, die für die seitliche Bewegung nach links oder rechts zuständig war. Jede Moosfaser musste mit ihren Signalen die Nachbarmatrix erreichen. Sie selbst konnte ihren Standort nicht verlassen, die es eine On-Off-Markerkonzentration gab, an die sie gebunden war. Aber die von der Moosfaser kontaktierte Körnerzelle konnte mit ihrem Axon die Purkinjezellen der gegenüberliegenden Elementarmatrix erreichen. Dazu gab es sogar zwei Wege. Die Parallelfasern mussten nur auf der Außenseite des Zylinders auf einer Halbkreisbahn auf die gegenüberliegende Seite ziehen, dafür gab es zwei Möglichkeiten. Dort trafen sie prinzipiell aufeinander, so dass sie nicht weiter in die Länge wachsen mussten. Die so entstandenen Parallelfasern bildeten mit der Körperachse (und mit den ins Cerebellum ziehenden Kletterfasern) einen rechten Winkel, diese Orthogonalität war seit Anbeginn gegeben. Je mehr die Signaldivergenz zunahm, umso größer wurde der Durchmesser dieses Cerebellumzylinders, der eindeutig zum Vermis cerebelli gehörte.
Nun waren die Sehnenorgane der Muskeln, welche die Veränderung der Gelenkwinkel maßen, nicht die einzigen Rezeptoren in diesem Segment des Körpers. Es gab noch Tastrezeptoren, Schmerzrezeptoren und Rezeptoren, die die verschiedensten Körperparameter des Lebenserhaltungssystems maßen. Diese Rezeptoren sandten (im Verlauf der Evolution) ihre Signale über Projektionsneuronen ebenfalls über die Moosfaserprojektion zum Spinocerebellum. Dort bildeten die zugehörigen Moosfasern eigene Modalitätenschichten. Auch im Spinocerebellum waren diese (genau wie im Neuralrohr) in Teilzylindern pro Segment angeordnet, wobei die verschiedenen Modalitäten ineinander geschachtelte Zylinderringe bildeten. Die Moosfasern bildeten synaptische Kontakte mit zugehörigen Körnerzellen, deren Axone in die Purkinjeschicht aufstiegen und über Sternzellen eine Hemmung der Purkinjezelle auslösten. Dadurch kontrahierte der motorische Gegenspieler, ein zugehöriger Muskel, der von der Purkinjezelle angesteuert wurde. Denn die zusätzliche Hemmung der Purkinjezelle durch das Schmerz- oder Tastsignal verhinderte eine Schädigung des eigenen Körpers, der Gegenspielermuskel bewegte durch die Kontraktion das Segment von der Stelle der gefährlichen Einwirkung weg. Deshalb gibt es neben den Parallelfasern mit motorischen Signale auch Parallelfasern mit Schmerz- und Tastsignalen und anderen Modalitäten, die motorisch wirksam werden konnten. Dies entsprach dem Eigenapparat der Spinocerebellums.
Zwischen Spinocerebellum und Neuralrohr gab es jedoch einen wesentlichen topologischen Unterschied: Das Neuralrohr war in der Längsrichtung zweigeteilt in einen motorischen und einen sensorischen Anteil. Das ebenfalls rohrförmige Spinocerebellum war nur sensorisch und war prinzipiell ein Körpermodell des ebenfalls länglichen Körpers. Dieses Modell war jedoch bezüglich der Modalitäten geschichtet – diese Schichtung wurde in der Schichtung der Moosfasern deutlich.
Die hier beschriebene Winkelanalyse war eine wichtige Voraussetzung für den schrittweisen Übergang der Primaten zum aufrechten Gang. Spätestens nach dem Übergang von den zylindrischen Körpermodellen des hohlen Neuralrohrs zu den sphärischen, fast ebenen und fast kreisförmigen Körpermodellen im Tectum opticum und im Torus semicircularis konnten die Elementarmatrizen des Spinocerebellums mit den Signalen des Vestibularsinns wechselwirken und für die Gangstabilität sorgen.
Doch die Entwicklung ging weiter. Eine Elementarmatrix konnte nur eine recht niedrige Winkelauflösung erreichen. Hatte die Signaldivergenz im Nucleus olivaris beispielsweise den Grad 8, so gab es zu einem On-Off-Signalpaar genau 8 Kletterfasern, die je 8 Purkinjezellen kontaktierten. Konnte das Gelenk beispielsweise einen Gelenkwinkel von 0 bis 90 Grad annehmen, dann konnte diese Elementarmatrix 8 Teilwinkel erkennen, von denen jeder ein ganzzahliges Vielfaches von 90/8 darstellte. Ein Winkelintervall hatte 11,25 Grad Breite. Eine Winkelauflösung von 11,25 Grad ist recht mäßig, aber evolutionär bereits recht wertvoll.
Wenn die Natur es schaffen könnte, eine weitere Stufe der Winkelauflösung auszubilden, könnte die Genauigkeit um das Achtfache gesteigert werden. Dann musste die Winkelanalyse rekursiv wiederholt werden.
Wir wissen, dass zur Elementarmatrix (unseres Beispiels) pro On-Off-Signalpaar 8 Kletterfasern durch Signaldivergenz im Nucleus olivaris entstanden. Sie waren minimumcodiert. Sie kontaktierten 64 Purkinjezellen. Aus ihnen gewann der Kleinhirnkern 64 maximumcodierte Signale. Diese konvergierten im Frontalcortex wieder auf 8 maximumcodierte Signale. In ihnen gab es eine topologische Wohlordnung durch den On-Off-Gradienten der beteiligten Marker. Diese Wohlordnung erlaubte es diesen Axonen, wieder topologisch korrekt im Nucleus ruber anzudocken und über eine weitere Signalkonvergenz das ursprüngliche On-Off-Signalpaar mit seinem Input zu versorgen.
Doch stellen wir uns einmal vor, der Nucleus ruber wäre (im Verlauf der Evolution) fähig dazu, die eintreffenden acht Signale aus dem Cortex, die von der 8 Kletterfasern abstammten, als eigenständigen Input zu betrachten. Dann würden diese 8 Signale genau das tun, was auch alle übrigen Signale aus dem Cortex im Nucleus ruber auch tun würden. Sie ziehen, falls vorhanden, zu den motorischen Zielen, aber zusätzlich zum Seitenwechselkern, dem Nucleus olivaris. Sie würden nun, noch vor der Signalkonvergenz, eigene Projektionsaxone bilden, die vom Nucleus ruber zum Nucleus olivaris ziehen. Dort generieren sie 8 Inputneuronen, die ihrerseits wieder hinreichend viele Interneuronen kontaktieren und so eine zweite Stufe der Signaldivergenz beginnen. Zu je einem benachbarten Paar der neuen Inputsignale würde im Spinocerebellum eine neue Elementarmatrix gehören, insgesamt als 7 Stück
Ähnliches könnte mit den Kletterfasersignalen der Elementarmatrix B passieren, die ebenfalls einer neuen Stufe der Signaldivergenz unterzogen werden würden. So hätten wir im Cerebellum wieder 7 neue Ableger der Elementarmatrix B. Es wäre nicht schwer, diese so zu positionieren, dass die von der Matrix A abgeleiteten 7 neuen Elementarmatrizen wieder jeweils einen passenden Partner aus den von der Elementarmatrix B abgeleiteten Matrizen bekämen. Damit wäre eine feinere Winkelanalyse nach dem gleichen Prinzip möglich.
Alternativ wäre es möglich, dass die im Nucleus olivaris gebildeten 8 Outputneuronen zwar zum Cerebellum projizieren, jedoch danach noch innerhalb des Nucleus olivaris eine weitere, zweite Stufe der Signaldivergenz durchführen. Dadurch würde sich der Nucleus olivaris räumlich stärker ausdehnen.
Mathematisch bedeutet dies, dass die erste Divergenzstufe zu einem On-Off-Signalpaar eine stetige Überlagerungsfunktion gemäß der Kabelgleichung bildet, die in 8 Stützstellen die Erregung der Kletterfassern liefert. Wenn nun jedes Teilintervall nochmals in 7 Teile geteilt wird, hat man die Funktionswerte an 64 Stützstellen. Der Extremwert (Minimum oder Maximum) bleibt unverändert, jedoch die Schrittweite wird extrem kleiner.
Welche Folgen hätte dies auf das Aussehen des Spinocerebellums?
Pro Segment würde zunächst eine Art Zylinder (Primärzylinder) gebildet werden, der auf jeder Halbseite 64 Purkinjezellen aufnehmen würde, je 8 Reihen mit je 8 Spalten auf jeder Zylinderhälfte. Pro Segment also zwei Elementarmatrizen.
Dieser recht schlanke Zylinder würde nun in einen weiteren Zylinder (Sekundärzylinder) übergehen, der den siebenfachen Umfang hätte, weil dort die siebenfache Anzahl von Elementarmatrizen untergebracht wäre. Den Umfang muss man durch die Zahl π teilen, um den Durchmesser zu erhalten. Der neue Zylinderabschnitt hätte dann (etwa)den 2,23-fachen Durchmesser. Das Spinocerebellum würde an dieser Stelle seinen Durchmesser etwas mehr als verdoppeln.
Eine weitere Stufe der Signaldivergenz würde den Durchmesser des nächsten Cerebellumzylinders wiederum verdoppeln.
Gleichzeitig würde jede einzelne Elementarmatrix sich wegen Platzmangel etwas nach außen wölben und eine Art Bogen oder Läppchen bilden. Im ersten Zylinderabschnitt hätten wir zwei derartige Bögen oder Läppchen, die durch Furchen getrennt wären.
Im zweiten Zylinderabschnitt mit der nächsthöheren Divergenzstufe hätten wir bereits sieben derartiger Läppchen oder Bögen, die durch Furchen getrennt wären. Im Zylinderabschnitt mit der dritten Stufe der Signaldivergenz würde die Zahl der Läppchen und Furchen wieder um das Siebenfache zunehmen. So entstünde die typische Cerebellumoberfläche mit ihren zwischen je zwei Furchen vorgewölbten Rindenabschnitt als Folium (lat. für Blatt).
Mit zunehmender Stufe der Signaldivergenz würde die Winkelauflösung deutlich genauer, allerdings ist dieser Prozess begrenzt durch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Purkinjezellen. Zumal das Spinocerebellum etwa nur ein Drittel der Purkinjezellen nutzt, die übrigen verrichten im Pontocerebellum ihre Arbeit.
Nicht erwähnt wurde, dass ab einer gewissen Stufe der Evolution die Kletterfasern im Cerebellum – wahrscheinlich auch im Spinocerebellum – nicht nur die Purkinjezellen, sondern sämtliche erreichbaren Interneuronen kontaktieren. Die Kletterfasern erregen, möglicherweise nur gering, sowohl die Sternzellen, die Korbzellen und die Golgizellen. Möglicherweise übergeben sie über diese synaptischen Kontakte den aktuellen On-Off-Marker der Kletterfaser, damit die so informierten Interneuronen wissen, welche Neuronen das Eigensignal dieser Kletterfaser transportieren und welche die Konkurrenzsignale transportieren.
Die Aufgabe der Lugaro-Zellen und der Büschelzellen im Cerebellum wird in diesem Kapitel nicht näher analysiert. Sie dienen offenbar dem Lebenserhaltungssystem und verknüpfen dessen Output mit dem Cerebelluminput.
Im nächsten Kapitel werden wir uns mit der Schaltung und der Signalverarbeitung des Ponotocerebellums befassen. Eines vorweg: Die Schaltung ist die gleiche. Aber der Input ist ein anderer. Aus der Rekursivität der Elementarmatrizen ergibt sich eine Rekursivität im Pontocerebellum, die jedoch als Schichtung eines neuronalen Netzes interpretiert wird.
Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan